Tabakwaren-Produktrichtlinie Schön war gestern

Endlich liegen sie vor – Studien zu den möglichen volkswirtschaftlichen Folgen der geplanten Tabakprodukt-Richtlinie (TPD). Eine weitere hat untersucht, ob bzw. in welcher Weise bildliche Warnhinweise Raucher wirklich abschrecken.

Dienstag, 02. Juli 2013 - Tabak
Ulrike Pütthoff
Artikelbild Schön war gestern
Christian Biermann, Shop-Inhaber in Magdeburg

Mehr oder weniger indirekt gehen beide von einer zerstörenden Wirkung die Tabakbranche durch die TPD aus. Pure Ideologie contra ökonomischer Notwendigkeit. Das ruft auch die Gewerkschaften auf den Plan.

Die ersten warmen Sonnenstrahlen haben die Außen-Gastronomie belebt. Doch vom Nachbartisch hagelt es Kritik wegen störenden Zigarettenrauchs. Worte wie Gesundheit, Sucht und Verantwortung fliegen durch die Luft. Der Raucher hat sinnbildlich gesprochen „den Kaffee auf“ bevor er ihm serviert wurde. Doch der Wirt zögert nicht lange und stellt ein Schild auf: „Nichtraucher haben die Raucher vor die Türen verbannt. Dann sollen sie selbst gefälligst drinnen bleiben.“ Ein Versucht, die rauchenden Gäste nicht weiter zu vergraulen. Die Gastronomie leidet schon genug unter den Rauchverboten. Und wenn die EU ihre Pläne von einem rauchfreien Europa mit Restriktionen weiter verfolgt, dann könnte schon bald anderen Branchen die Luft ausgehen, das bestätigt Patrick Mannsperger, Partner von Roland Berger Strategy Consultants.

Im Auftrag von Philip Morris International (PMI) hat er eine Studie erstellt, die sich den Auswirkungen der geplante Tabakprodukt-Richtlinie auf diese und andere Wirtschaftszweige widmet. Die TPD würde Herstellern und Händlern nämlich enorme Daumenschrauben beim Verkauf von Tabakwaren anlegen. Mit der Folge, dass in der EU bis zu 175.000 Arbeitsplätze gefährdet sind. Gleichzeitig droht den EU-Staaten ein möglicher Steuerausfall von bis zu 5 Mrd. Euro.

„Derzeit generiert der europäische Tabaksektor ein jährliches Steueraufkommen von mehr als 100 Mrd. Euro. Verringern sich die Steuereinnahmen, so könnten auch andere, derart finanzierte Bereiche in Mitleidenschaft gezogen werden. Dies wiederum würde die europäische Wirtschaft beeinträchtigen und sich negativ auf die Beschäftigungszahlen in der EU auswirken.”

Für Deutschland rechnet die Studie mit einem Wegfall von bis zu 13.000 Arbeitsplätzen und einem voraussichtlichen Steuerausfall von bis zu 690 Mio. Euro. Und weil die EU-Vorschriften zu einer Homogenisierung des Zigaretten- und Feinschnittmarktes führen, erwarten die Experten der Strategieberatung eine Verschiebung der Nachfrage zu günstigeren legalen und illegalen Zigaretten. Die Folge wären weitere Preissenkungen, weil die Markendifferenzierung deutlich eingeschränkt wird und Verbraucher ihre Kaufentscheidungen vom Preis abhängig machen.

Außerdem könnte der illegale Handel zusätzlich wachsen, wenn die Zigarettenverpackungen standardisiert würden sowie Slim-Zigaretten und Produkten mit charakteristischen Aromastoffen etwa wie Menthol verboten würden. Neben den wirtschaftlichen Negativfaktoren gibt es bei den illegalen Glimmstengeln dann keine Kontrolle über Inhalt und Qualität mehr. Und auch das dürfte nicht im Sinne der EU-Kommission sein, die gerade mit der TPD den Gesundheitsschutz verfolgt.


Bereits heute werden 11 Prozent der in der EU konsumierten Zigaretten als Schmuggelware verkauft. „Das Verbot ganzer Produktgruppen ist ein Konjunkturprogramm für den Schwarzmarkt“, ist auch Rainer von Bötticher, Präsident des Bundesverbandes des Tabakwaren-Einzelhandels, besorgt.

Laut der Roland Berger-Studie könnte der Markt um bis zu 55 Prozent steigen, sollten standardisierte Verpackungen, Einführung von großflächigen Schockbildern und das Verbot von Slim- und Menthol-Zigaretten Realität werden. In absoluten Zahlen ausgedrückt, würden dann nicht nur 68 Mrd., sondern 84 bis 106 Mrd. illegale Zigaretten jährlich in Europa gehandelt.

Und wenn Plain Packaging, also die über alle Marken identische Einheitsverpackung, zur Pflicht wird, dann spitzt sich die Situation weiter zu. In Ergänzung mit den bisher geplanten Maßnahmen könnte das einer ersten groben Einschätzung zufolge zu einem Verlust von bis zu 305.000 Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen von bis zu 8,5 Mrd. Euro führen. Der Schwarzmarkt für Zigaretten könnte in diesem Fall um bis zu 65 Prozent ansteigen.

Jedenfalls kostet der illegale Handel die EU-Mitgliedsstaaten schon heute 12,5 Mrd. Euro im Jahr und richtet großen wirtschaftlichen Schaden an, zeigt die Studie Projekt Star 2012 der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Ihre Ermittlungen ergaben, dass im vergangenen Jahr rund ein Fünftel (21 Mrd.) der in Deutschland konsumierten Zigaretten nicht in der Bundesrepublik versteuert wurden. Den Steuerschaden schätzen die Wirtschaftsprüfer auf 4 Mrd. Euro.

Nicht ganz unbegründet weist der Bundesverband des Tabakwaren-Einzelhandels darauf hin, dass die EU-Kommission indirekt den illegalen Zigarettenhandel massiv fördert, solange in Brüssel über die TPD diskutiert wird. „Dabei gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis, dass die geplanten Maßnahmen die Zahl der Raucher reduzieren oder die Gesundheit fördern werden. Wir hoffen daher, dass die EU die geplante TPD überdenkt und durch ein Regelwerk ersetzt, das nicht politisch motiviert, sondern wissenschaftlich fundiert ist“, kommentiert Julie Soderlund, Vice President Communications bei Philipp Morris International, die Zahlen. Das Regelwerk sollte ihren Vorstellungen nach geeignet sein, die Risiken des Rauchens effektiv zu minimieren, ohne der Wirtschaft unnötige Bürden aufzuerlegen.


Oxera, ein unabhängiges Wirtschaftsberatungsunternehmen, will keinesfalls die Ziele der geplanten TPD in Frage stellen. Laut einer von Japan Tobacco International (JTI) beauftragten Berichtes sind die Vorschläge nicht überzeugend. „Wir unterstützen eine vernünftige Tabakregulierung“, betont Oxera-Direktor Dr. Gunnar Niels, „aber eine überzeugendere Abschätzung der Folgen von TPD wäre für den Entscheidungsprozess sicher von Vorteil.“

Stattdessen hat Oxera Unzulänglichkeiten aufgespürt: Die TPD-Ziele sind nicht klar formuliert, denn nicht die verbesserte Binnenmarkt-Funktion mit Innovation, Wettbewerb, Wahlmöglichkeiten der Verbraucher und grenzüberschreitendem Handel werde angestrebt, sondern die Überlegungen konzentrieren sich auf die Gesundheit.

Außerdem verlasse sich die EU auf Annahmen und nicht auf Beweise, etwa dass der Tabakkonsum fünf Jahre nach der TPD-Implementierung um 2 Prozent zurück geht. Belegt sei das nicht. „Dieser Bericht zeigt einmal mehr, dass die Vorschläge nicht ausreichend durchdacht wurden. Im Interesse der Qualitätsregulierung hoffen wir, dass Oxeras Feststellungen berücksichtigt werden, bevor über irgendwelche neuen Reglungen abgestimmt wird“, äußert sich Thierry Lebeaux, Leiter der Abteilung EU Affairs bei JTI, dazu.

Die Studie von Roland Berger Strategy Consultants bestätigt auch die Befürchtung der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), dass die TPD-Umsetzung Arbeitsplätze im sechsstelligen Bereich vernichten wird. NGG-Vorsitzender Franz-Josef Möllenberg will Widerstand leisten: „Hört auf, diese Industrie zu erdrosseln! Ob es europaweit tatsächlich 175.000 oder ‚nur’ 100.000 Arbeitsplätze sein könnten, ist unerheblich. Hier geht es um jeden einzelnen.“ Möllenberg rechnet mit einem Dominoeffekt auf andere Produkte: heute Tabak, morgen der Alkohol im Bier, übermorgen das Fett in der Wurst und nächste Woche der Zucker in der Schokolade.

Bei seiner Argumentation nimmt er kein Blatt vor den Mund: „In dieser Auseinandersetzung geht es schon längst nicht mehr um Aufklärung und Sachlichkeit sowie einen vernünftigen und verantwortungsbewussten Umgang mit Genussmitteln: Das ist eine genussfeindliche Ideologie, Freiheit wird eingeschränkt und Minderheiten werden bekämpft.“ Darüber werde vergessen, dass in Europa Millionen Menschen vom Produkt Tabak leben und die Staaten ein gewaltiges Steueraufkommen kassieren.“


Reemtsma wollte es auch nicht bei einer subjektiven Einschätzung belassen. Das am stärksten regulierte Produkt sei die Zigarette. Doch die Hamburger ärgert viel mehr die „demokritische Willkür“, wie es Marcus T.R. Schmidt, General Manager für Deutschland und die Schweiz, formuliert. Die vorgesehenen Piktogramme seien ein Schlag ins Gesicht. Ob Raucher das auch so empfinden, war schlussendlich die zentrale Fragestellung einer Studie, die der Konzern bei Prof. Dr. Henrik Sattler vom Institut für Marketing und Medien der Universität Hamburg in Auftrag gab.

Unter den rund 3.000 Probanden wurden keine Imagewerte, sondern primär Markenwerte abgefragt, nachdem ihnen Zigarettenpackungen mit den Schockbildern vorgelegt wurden. Das Ergebnis spricht für sich: Die Wiedererkennung der Marke hatte sich um 48 Prozent drastisch verringert. Nur knapp 16 Prozent erkannten ihre Brand wieder. Überproportional betroffen waren vor allem weniger bekannte Marken.

Die Einschränkungen durch den vorliegenden EU-Entwurf seien fast so hoch wie bei Plain Packaging. Außerdem konnte die verbesserte Aufklärung über Gesundheitsrisiken durch die bildlichen Warnhinweise nicht nachgewiesen werden. Sie machten den Zigarettenkonsum sozial nicht unattraktiver, denn die Mehrheit der Konsumenten (mehr als zwei Drittel) fühlt sich dadurch nicht besser aufgeklärt. Wenn überhaupt, sind die Effekte auf die Gesamtnachfrage marginal.

Der Preis dafür wären unter anderem wettbewerbspolitische Konsequenzen zu Gunsten starker Brands. Sie verbuchten Markenwertgewinne, während Schwächere Verluste hinnehmen müssten, die sich laut Reemtsma-Studie häufig in dreistelliger Euro-Millionenhöhe bewegen würden.

Nun ist die Politik gefordert. Bis Mitte Juli müssen Änderungsanträge zum im Dezember 2012 vorgestellten Entwurf der Tabakprodukt-Richtlinie beim EU-Parlament vorliegen. Presseberichten zufolge kann sich die Bundesregierung mit einem Menthol-Verbot anfreunden. Was die Slim-Zigarette betrifft, will sie noch weitere Untersuchungen anstellen. Und hinsichtlich der Schockbilder schwankt sie noch, wartet auf einen Nachweis aus EU-Kreisen, dass die Piktogramme wirklich Sinn machen.

„In der politischen Abwägung sind die ökonomischen Kosten zu beachten“, sagt der Deutsche Zigarettenverband. Auch er beruft sich auf eine von ihm in Auftrag gegebene Studie. Danach reduziere sich der Beitrag der Tabakwirtschaft zur deutschen Wirtschaftsleistung um circa 2 Mrd. Euro. Das wäre dann der Fall, wenn der Zigarettenkonsum um ca. 10 Prozent zurückgeht. Dem Staat entgingen dann Steuereinnahmen in Höhe von 1,8 Mrd. Euro.


Händler wehren sich

Shopbetreiber harren nicht der Dinge, sondern demonstrieren, wie aus ihrer Verkaufsstätte ein Gruselkabinett werden könnte, wenn die Tabkpprodukt-Richtlinie Realität wird. Warum sollte eine einheitliche Länge und Breite der Zigaretten zu weniger Rauchern führen? Was hat das Verbot der vornehmlich von älteren Rauchern konsumierten Mentholzigaretten mit Jugendschutz zu tun? Nur zwei von vielen Fragen, auf die der Magdeburger Shop-Betreiber Christian Biermann keine Antwort findet. Um sich eine Vorstellung davon zu machen, was auf ihn, seine Mitarbeiter und Kunden zukommen könnte, gestaltete er für einen Tag sein Tabakwarenregal um.

Sein Fazit: Abbildungen von schwarzen Lungen und Zähnen auf den Zigaretten-Verpackungen vergraulen dann nicht nur Raucher, sondern auch Nichtraucher. 2006 hat Biermann den Shop72 übernommen. Von den zwei Filialen großer Supermarkt-Ketten in der Nachbarschaft konnte er sich bisher durch Service und Angebot abheben. Neben Tabakwaren bietet er auch Lotto und eine große Auswahl an Pressetiteln an. „Die überwiegende Mehrheit meiner Kunden kommt seit Jahren regelmäßig zu mir in den Kiosk. Sie wissen ihren Laden um die Ecke zu schätzen“, sagt Biermann. „Wenn ich ihre Wünsche nicht mehr erfüllen kann, verliere ich auch die Stammkundschaft.“ Werden zum Beispiel charakteristische Zusatzstoffe verboten, können passionierte Mentholraucher ihren Bedarf nur noch auf dem Schwarzmarkt decken. Dass dieser seit Beginn der verstärkten Grenzkontrollen nicht mehr so boomt wie zuvor, bewertet Biermann positiv: „Die Leute kaufen wieder legal. Das ist ein wichtiger Faktor für uns Tabakhändler im Magdeburger Raum. Wenn sich die vorgeschlagenen Einheitszigaretten aber so leicht fälschen lassen wie befürchtet, wird auch der Schmuggel wieder zunehmen“, ist der Magde‧burger überzeugt.

Im Gespräch mit seinen Kunden ist er vor allem auf Unverständnis für die geplanten Neuerungen gestoßen. Und er selbst ist überzeugt, dass „das aktuelle System aus Information, Prävention und der Kontrolle durch uns Händler funktioniert.“

Im Frühjahr hatte auch der Bundesverband des Tabakwaren-Einzelhandels e.V. (BTWE) sowie das Branchenbündnis „Entscheiden sie selbst!“ eine Aktion gestartet. „Dann ist der Laden weg“ war das Motto, unter dem Verbraucher und Händler gegen die TPD protestieren konnten. Innerhalb von sechs Wochen kamen knapp 210.000 Unterschriften zusammen, die der BTWE an den Vorsitzenden des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Bundestag, Michael Goldmann, übergab. Dieser versprach, das Anliegen in den politischen Beratungsprozess aufzunehmen.

Zusätzliche Infos:

www.rolandberger.com
www.jti.com
www.reemtsma.com
www.tabakwelt.de

 

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