Nahversorger Die Kunden „regieren“ mit

Der vierte Tante-Enso-Markt hat seien Türen geöffnet. Grundlage der Fusion aus klassischem Tante-Emma-Laden und dem Online-Supermarkt MyEnso: Nicht die Unternehmenszentrale, sondern die Kundschaft vor Ort soll über das angebotene Sortiment entscheiden.

Donnerstag, 18. März 2021 - Kleinfläche
Thomas Klaus
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Bildquelle: Bode/Redaktionsbüro Klaus

Weiterer Nachwuchs für „Tante Enso“: Im niedersächsischen Schnega, einem 1.300-Seelen-Ort zwischen Lüneburg und Uelzen, erblickte Ende vergangenen Jahres die Nummer Vier das Licht der Welt. Und noch mehr „Kinderlein“ sind in Sicht: Hinter „Tante Enso“ steckt die Fusion aus einem klassischen Tante-Emma-Laden und dem Online-Supermarkt MyEnso, für die Enso E-Commerce aus Bremen sorgt. Damit will das Unternehmen nach eigenem Bekunden den Lebensmitteleinzelhandel revolutionieren und Versorgungslücken im ländlichen Raum schließen.

Personal stammt aus dem Dorf
Im September 2019 wurde in Blender im niedersächsischen Landkreis Verden, wo 3.000 Menschen leben, ein Tante-Enso-Laden eröffnet. Fast zeitgleich gingen zwei weitere Standorte dieses Formats in der Seniorenresidenz Augustinum in Stuttgart-Killesberg und im Convivo-Park in Eutin an den Start. Ein Besuch in Blender zeigt, wie das Konzept funktioniert: Auf den rund 140 Quadratmetern einer ausgedienten Volksbank-Filiale stehen ein rund 2.500 Artikel umfassendes Sortiment aus Lebensmitteln und dem sonstigen täglichen Bedarf zur Auswahl. Diese können die Verbraucher sofort einkaufen und mitnehmen. Ergänzend ist es möglich, bei MyEnso bis zu 20.000 Artikel zu bestellt und bei Bedarf bis an die Haustür liefern zu lassen. Bei der Belieferung des Marktes in Blender wird unter anderem mit Edeka-Foodservice kooperiert.

Montags bis samstags von 10 bis 12.30 Uhr sowie dienstags und freitags von 16 bis 18 Uhr ist in Blender Personal vor Ort. Vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bilden das Team. Sie stammen alle aus dem Dorf und sind in der Bevölkerung bekannt. Nach Ladenschluss kann mit einer Tante-Enso-Kundenkarte 24 Stunden lang an sieben Tagen in der Woche geshoppt werden. Mit ihr wird hier dann auch, über ein Lastschriftmandat oder ein Guthaben, bezahlt. Wie aus der Unternehmenszentrale in Bremen zu hören ist, werden bereits 50 Prozent der Umsätze während der Personal-losen Öffnungszeiten im Self-Service erzielt.

Das Ziel: 100 Tante-Enso-Läden
Die Preisgestaltung vergleicht MyEnso-Gründer und CMO Thorsten Bausch mit der von Rewe oder Edeka. Eine „absolute preisliche Wettbewerbsfähigkeit im klassischen Supermarkt-Sortiment“ sei das Ziel. Diese umzusetzen, gelänge Einzelunternehmern auf dem Land allerdings nur selten. Tante Enso strebt genau diese Wettbewerbsfähigkeit an. Bausch betont allerdings: „Wir sind kein Discounter.“ Auf dieser Basis wird der Expansionskurs fortgesetzt.
Thorsten Bausch kündigt für die kommenden Monate eine Reihe Neueröffnungen in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt an. Hinzu kommt ein Pilotprojekt in Bremen-Überseestadt – erstmals im urbanen Raum. In den nächsten drei Jahren soll es dann deutschlandweit insgesamt hundert Tante-Enso-Läden geben.

Darüber hinaus soll das Konzept in Zusammenarbeit mit zwei großen Unternehmen der Pflegebranche bundesweit in mehr als 100 Seniorenresidenzen ausgerollt werden. Diese beiden Partner der Pflegebranche sind die Augustinum Gruppe und die Convivo Gruppe. „Der erste operative Gewinn“, fasst Thorsten Bausch zusammen, „ist für Ende 2021 geplant.“

Andere Automaten-Märkte
Das Tante-Enso-Konzept, als Automaten-gestützte Lösung im Nahversorger-Markt, steht nicht allein. So betreibt zum Beispiel das Unternehmen Hensing erste Automaten-Supermärkte in Deutschland. Convenience Shop berichtete über das Projekt mit dem Markennamen Herr Anton in seiner Ausgabe 7/2020. Zudem startete jüngst das Kleinstladen-Format Teo der hessischen Supermarktkette Tegut. Unser Magazin berichtete auch darüber in seiner Ausgabe 8/2020.
Ein wichtiger Unterschied zwischen Tante Enso und Mitbewerbern, wie etwa Herr Anton oder Teguts Teo: Die potenziellen Kunden von Tante Enso werden eng in die Planungen einbezogen, und das bis hin zu Besitzanteilen. Mindestens 300 Anteile an der Genossenschaft zu je 100 Euro müssen aus jedem Ort gezeichnet sein, damit Tante Enso verbindlich einen Minimarkt eröffnet. In Schnega zum Beispiel zeichneten die Bürgerinnen und Bürger innerhalb von drei Tagen mehr als 450 Anteile. Deshalb stand der Eröffnung nichts mehr im Wege.

Über den Anteilsverkauf hinaus sollen sich die Einheimischen mit Ideen und Anregungen einbringen. In Blender zum Beispiel tüftelte eine Arbeitsgruppe aus Anwohnern, Unternehmensvertretern und Bürgermeister vor der Eröffnung ein Jahr lang an der besten Lösung zum Thema Produktgestaltung. Abgerundet wurden die Überlegungen durch Erkenntnisse aus der Marktforschung der MyEnso-Partner Kantar TNS und Bonsai. In Schnega wurde vergleichbar verfahren, das entspricht der Tante-Enso-Philosophie.

Die Kundschaft entscheidet
Thomas Bausch unterstreicht: „Welche Produkte im Sortiment sein sollen und was bei der Gestaltung des Marktes individuell beachtet werden muss, entscheidet die künftige Kundschaft und keine ferne Konzern-Zentrale eines Lebensmittelhändlers.“ Gleiches gelte für die mit Personal besetzten Öffnungszeiten und die Dienstleistungen. Folgerichtig hat Schnega seine eigenen Öffnungszeiten mit Personal ausgewählt. Mitarbeiter sind auf Wunsch der Kunden hier montags von 8 bis 12 Uhr sowie dienstags, donnerstags und freitags von 8 bis 12 und 15 bis 18 Uhr vor Ort. Samstags ist das von 8 bis 12 Uhr der Fall. Auf 175 Quadratmetern Verkaufsfläche werden in Schnega knapp 3.000 Artikel angeboten.

Aufwind geben dem Konzept Auszeichnungen wie beispielsweise der mit 10.000 Euro dotierte „Nordwest Award“ der Metropolregion Nordwest, für den Shop in Blender. In ihrer Laudatio sagte Niedersachsens Ministerin für Regionale Entwicklung, Birgit Honé: „Das Projekt steigert die Lebensqualität vor Ort, indem die Nahversorgung als ein wichtiger Aspekt der Daseinsvorsorge verbessert und das soziale Miteinander gestärkt wird. Was mich besonders begeistert: Die ganze Gemeinde ist mit eingebunden“, sie sei also Pate des „Kindes“ von Tante Enso.