Raststätte Manifestation der Mobilität

Eine Liebeserklärung an die Raststätte Garbsen Nord? Autor Florian Werner hat vor der Corona-Krise eine solche in Buchform verfasst. Sie beschreibt Menschen, Architektur und Natur an der Autobahn.

Montag, 19. April 2021 - Tankstelle
Martin Heiermann
Artikelbild Manifestation der Mobilität
Bildquelle: Hanser Berlin

Warum ein solches Buch und dann noch eine Liebeserklärung? Wo doch Raststätten an Bundesautobahnen – 450 gibt es davon in Deutschland – sicherlich nicht zu den Lieblingsorten der meisten ihrer Besucher und Gäste gehören. Florian Werner, 1971 in Berlin geborener Autor, schreibt es trotzdem und mietet sich dazu im Sommer 2019 in das Motel der Raststätte Garbsen Nord an der A2, kurz vor Hannove,r ein. Er verweist gleich zu Anfang darauf, dass jährlich mehr als eine halbe Milliarde Reisende an deutschen Raststätten einen Halt einlegen. „Damit haben sie deutlich mehr Besucher als der Kölner Dom, das Brandenburger Tor und das Oktoberfest zusammen“, stellt Werner fest. Allein das ist in seinen Augen schon eine Legitimation, einen Blick aus der Nähe auf diese Manifestationen der Mobilität zu werfen. Und er fährt fort: „In einer Gesellschaft, die Individualverkehr als Grundrecht betrachtet .....nimmt die Bedeutung der Raststätten als Dienstleistungs- und Erholungsorte stetig zu.“ Deutschland sei eine Autofahrernation und Raststätten vielleicht die wichtigsten Bauwerke hier zu Lande.

Das ist sicherlich vor der Pandemie geschrieben, aber durchaus nicht unkritisch gesehen. Denn Florian Werner weiß um das Image der Raststätten. Er weiß auch um ihre wirtschaftspolitische Geschichte, als der Bund die Betreibergesellschaft Tank & Rast AG 1998 an einen Finanzinvestor verkaufte und dieser das Unternehmen nur sechs Jahre später für den doppelten Preis an Guy Hands „einen windigen Londoner Investor“ weiterverkaufte und dieser „dem Unternehmen hohe Schulden aufbürdete“ sowie „sich selbst fürstliche Sonderdividenden ausschüttete“.
Doch bei aller Problematik schaut Florian Werner mit viel Sympathie auf Garbsen Nord und die übrigen 449 Raststätten in Deutschland und gewinnt fast schon philosophische, psychologische und soziologische Erkenntnisse. Der Leser des Buches erfährt auf 160 Seiten viel über die Entstehungsgeschichte und Entwicklung der deutschen Raststätten. Er lernt durch Werners Beschreibung den Betreiber der Raststätte, Marc Münnich, kennen, eine Servicefachkraft, Beamte der Autobahnwache, einen Flaschensammler, einen Botanik-Fachmann, einen Notfallseelsorger sowie den Abgeordneten der Partei Die Linke Victor Perlit. Werner schaut auch in das Gästebuch von Garbsen Nord. Dort bedankt sich Herbert Wehner 1974 „für die Gastlichkeit“ und 1981 Alfred Biolek „ für den guten Pudding“. Besucht haben die Raststätte ebenfalls Udo Jürgens, Uwe Seeler oder Klaus Lage. Sie sprechen ihren Dank schriftlich der Chefin Anne Kathrin Münnich aus.

Immer eine offene Tür
Ihr Mann, Betreiber Marc Münnich, berichtet im Gespräch mit Werner von vielen positiven Ereignissen, die ihn mit „seiner“ Raststätte verbinden und seine ganz besondere Sicht auf diesen Ort offenbaren. Das zeigt auch eine Frage die Münnich, wie er verrät, umtreibt: „Warum habe die Eingangstür zur Raststätte überhaupt ein Schloss?“ Das sei überflüssig. Die Tür sei immer offen gewesen. Zudem wisse er als Pächter nicht einmal, wo sich die Schlüssel denn nun wirklich befinden: „Seitdem ich in diesem Betrieb bin, war diese Tür noch nie geschlossen“, zitiert ihn Werner. Vielleicht hat sich das im vergangenen Pandemie-Jahr verändert und die Tür war doch einmal verschlossen. Das lesenswerte Buch jedenfalls bietet auch ohne Pandemie-Erfahrung einen „liebevollen“ Einblick in die Lebenswelt der Raststätte.
Das Buch „Die Raststätte. Eine Liebeserklärung“ ist im Verlag Hanser Berlin erschienen.