Er war ein Enfant Terrible, Entrepreur des Jahres und vor allem einer derjenigen, die das Thema Convenience-Vertriebskanäle, allen Unkenrufen zum Trotz, in Deutschland auf die Tagesordnung des Lebensmittel-Einzelhandels gesetzt hat. Wir wollten wissen, was Roman Koid, Berater, auch leidgeprüfter Unternehmer, Kunstkenner, Bestseller-Autor und vieles mehr, heute zum Convenience-Trend zu sagen hat. Das Ergebnis ist keine Überraschung für Convenience Shop: Roman Koidl war sofort dabei und ist nach wie vor im Thema.
Sie haben schon vor mehr als 25 Jahren in Deutschland als sehr junger Mann, zusammen mit anderen Experten, das Zeitalter von Convenience im deutschen Handel ausgerufen. Wie beurteilen Sie Ihr Engagement heute?
Das waren Zeiten! Bei Coffee To-go dachten die Menschen an Kaffee aus Afrika und das Wort Convenience war so wenig bekannt, dass es mir sogar gelungen war, den Begriff beim Deutschen Marken Patentamt für mich zu registrieren. Das damalige Gelächter der Chefs von Markant und Rewe zu meinen jugendlichen Visionen schallt mir heute noch in den Ohren. Auf einer Handelskonferenz in Frankfurt hatte ich ein Modell eines zum Convenience Store umgebauten Backshops gezeigt, und wurde auf offener Bühne verhöhnt. Später hat man dann über online und das Internet gelacht: ‚Diese kleinen Mengen, das wird nix! Wir denken in Paletten, Herr Koidl!‘, tönte es. Heute lachen leider alle über die weit gehende Rückständigkeit der deutschen Wirtschaft. Meine Beurteilung lautet deshalb: Die fetten Jahre sind vorbei, insbesondere im Handel.
Sie sind ja auch national und international viel unterwegs und haben den Convenience-Handel, auch wenn sie heute in ganz anderen Metiers tätig sind, ja immer live erlebt. Sehen sie hier viele Fortschritte, oder sind Sie enttäuscht über Stagnation bei entsprechenden Konzepten der Convenience-Betreiber?
So weit weg bin ich gar nicht. Es ging mir in meiner Karriere immer um Kundenorientierung. Mein heutiges Betätigungsfeld E-Commerce und digitale Anwendungen im Handel haben doch sehr viel mit Kundenorientierung und ‚Convenience‘ im englischen Sinne zu tun. Um auf konkret auf Ihre Frage einzugehen: Wenn ich heute in Convenience-Läden gehe, sehe ich eigentlich meine Ideen von vor 25 Jahren. Verändert hat sich da wenig. Offenbar glaubt man jetzt ‚irgendwas mit Apps‘ einbauen zu müssen. Die eigenen Ideen sind nicht wesentlich mehr geworden. Man rennt den Dingen hinterher, statt selbst zu gestalten. All das hat unglaublich viel mit dem Bewahren von Zuständen zu tun, aber vor allem auch mit einer fehlenden Fehlerkultur.
Schon damals haben wir darüber gesprochen, dass der deutsche Lebensmittel-Einzelhandel in Sachen Convenience-Retail sehr zurückhaltend war. Erst jetzt geht es da voran. Sie haben damals einen Mangel an interdisziplinärer Denke bei den Händlern vermutet. Hat sich das bestätigt?
Es ist tatsächlich besser geworden und die Startup-Kultur hat daran maßgeblichen Anteil. Jeder Mittelständler hat heute ein ‚Innovations-Lab‘. Das Auslachen junger Leute hat deutlich abgenommen, seit einige junge Leute ihre narzisstischen Beschädigungen durch uninspirierte Altvordere in substanzielle Vermögen verwandelt haben.
Gefordert haben sie damals auch, die Umsatz- und Kostendenke zu reduzieren und mehr von der Ertragsseite an die Sache heranzugehen. Wie beurteilen Sie das heute?
Da lag ich falsch. Heute geht es nur noch um Umsatz. Ob Sie Gewinn machen, interessiert niemanden. Zwei Milliarden Umsatz, 1,2 Milliarden Verlust? Geil! Lass uns 100 Millionen in die Bude investieren, das wird das ‚nächste große Ding‘. Wir leben im Zeitalter des Bullshits.
Ihre überraschend realistische Vermutung, dass es mit den zweistelligen Wachstumsraten nicht wie von selbst weitergeht, hat sich in der Folge bestätigt. Dennoch hält sich die Faszination und Anziehungskraft des Grundkonzeptes jetzt schon seit 25 Jahren. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Du bist nah am Kunden, es menschelt. ‚Der Späti‘ ist Convenience in Reinkultur.
Wieso hinkt der Convenience-Trend in Deutschland dennoch immer noch so deutlich gegenüber anderen europäischen Ländern, ganz zu schweigen von Asien und Amerika, hinterher?
Händler in Amerika, aber viel mehr noch in Asien haben systematisiert, was ich gerade zuvor sagte: vorn nah am Kunden, hinten eine gnadenlos auf Prozesse ausgerichtete Organisation. ‚Vorn‘ taten wir uns in Deutschland immer schon schwer und Prozesse sind bei erstaunlich wenigen Handelsunternehmen in jener Tiefe implementiert, wie sie bei Digitalunternehmen letztendlich zur DNA gehören. Das im Nachhinein aufzubauen, braucht Kraft, Willen und Durchhaltevermögen. Leute müssen geschult werden, Prozesse müssen gelebt werden. Sitze ich bei einem Händler, sagt der: ‚Ich weiß, ich weiß, brauchen wir dringend, sind wir aber bisher nicht dazu gekommen‘. Bei Amazon sind sie dazu gekommen, deswegen läuft der Laden so rund.
Sie haben 1995 mit Blick auf den Lebensmittel Einzelhandel gesagt, dass Fast Food oder Dienstleistungen anzubieten, eine ‚völlige Neuorientierung im unternehmerischen Selbstverständnis‘ erfordere. Außerdem müsse man die ‚Strukturen total ändern‘. Das kommt wohl jetzt erst, nach 25 Jahren, in Gang. Ist hier jetzt noch viel zu erreichen?
Interessanterweise hilft die Digitalisierung dabei. Da wird ein neues ERP System eingeführt, dazu sind Prozesse, die seinerzeit von mir als Strukturen bezeichneten Abläufe eines Unternehmens, unerlässlich. Im Zusammenhang mit der Digitalisierung kommt es dann dazu, dass man die gesamte Organisation auf ‚Prozess‘ umstellt. Ein weiter Weg, die meisten drücken sich davor.
In den vergangenen 25 Jahren haben sich die Rahmenbedingungen für den Convenience-Handel deutlich verändert. Vor allem die Freigabe der Ladenöffnungszeiten war damals noch nicht abzusehen, das hat das Retail-Geschäft natürlich stark unter Druck gesetzt. Viele Shop-Betreiber haben es deshalb reduziert und setzen jetzt vor allem auf Gastro-Konzepte. Ist das der richtige Weg, oder ist es nicht gerade der perfekte kompetente Mix, der die Anziehungskraft ausmacht?
Ich fand und finde Gastro immer noch richtig. Aber das gleiche Marzpian-Croissant von Schoeller liegt jetzt seit 25 Jahren in der Auslage. Ich sage nur „Mischkarton Süße Mini-Buttercroissants“. Das genügt nicht mehr. Ich rate allen dazu, die Sache nochmals – und zwar vom Kunden her – ganz neu zu denken. Riskiert doch auch mal was, Geld ist genug da.
Convenience Shop hat im Rahmen seines letzten Relaunches auch das Thema E-Food in den Convenience-Markt integriert. Wir sprechen jetzt auch die Betreiber aller relevanten Online-Food-Portale hier zu Lande an. Ich glaube, dass das Sinn macht, weil diese sowohl selber eine Art Convenience-Retailer sind als auch als Partner des stationären Convenience-Retail eine wichtige Rolle spielen können. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Das ist sicherlich ein guter Ansatz. Wie ich eingangs sagte, es geht am Ende um Kundenorientierung. Aber ‚Food‘ ist kein digitales Produkt, es ist emotional, haptisch, man will riechen, schmecken und vor allem einen kurzen Kontakt mit Mann oder Frau hinter der Theke. Die Chance von Convenience liegt in der Menschlichkeit. Wer das in einem systematischen Format anbieten kann, dem gehört die Zukunft.