Westfalen AG „Wir setzen auf Kreativität“

Die Westfalen AG gehört seit Jahren zu denn innovativen Unternehmen im Tankstellen- und Convenience-Geschäft. In der Vergangenheit überraschten die Münsteraner immer wieder mit neuen Shop-Strategien und kreativen Sortimenten. Aktuell startet das Unternehmen mit der Ausgründung Fillibri. Das Startup betreibt eine App, die das Tankstellen-Geschäft digitalisieren soll.

Dienstag, 22. September 2020 - Tankstelle
Martin Heiermann, Hans Jürgen Krone
Artikelbild „Wir setzen auf Kreativität“
Bildquelle: Marco Stepniak

Nach der Verabschiedung von Norbert Kumor in den Ruhestand hat Sandra Schütte im vergangenen Jahre die Verantwortung für das Convenience-Geschäft bei der Westfalen AG übernommen. Sie arbeitet mit Andre Stracke zusammen, Leiter des Tankstellen-Geschäftes der Westfalen-Gruppe. Beide verfolgen das Ziel, die Digitalisierung an den Stationen und in den Stores voran zubringen. Auch die Ansprache der Kunden soll digitaler werde. Wir sprachen mit Schütte und Stracke über Vergangenheit, Gegenwart und ihre Pläne für die Zukunft.

Das Tankstellengeschäft hat sich in den vergangenen 25 Jahre stark verändert. Wie lief die Entwicklung aus Ihrer Sicht?
Stracke: Zunächst herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum von Convenience Shop. Das Tankstellengeschäft hat sich in den vergangenen 25 Jahre massiv verändert. Wenn man noch weiter zurückschaut, wird die Veränderung noch deutlicher: Vom Öl- und destillierten-Wasser-Verkäufer über die achtziger und neunziger Jahre mit dem entstehenden Shop-Geschäft und den ersten Bistros bis zum heutigen Stand. Wir sind jetzt Tabakwarenfachhändler, verkaufen hochklassigen Kaffee aus Italien und haben die Expertise bezüglich der Wünsche und Bedürfnisse der Kunden. Wir haben heute Stationen, die einem professionellen Gastronomiebetrieb mit entsprechendem Ambiente gleichkommen und eine große Auswahl bieten. Derzeit spielt das Thema Frische eine große Rolle. Hinzu kommt die Entwicklung des Ladenbaus, die sich entsprechend dem Zeitgeist vollzogen hat, derzeit mit Industrial Look.

Sehen Sie eine kontinuierliche Entwicklung, die vorhersehbar war, oder hat Sie manches überrascht?
Schütte: Im Rückblick erscheint die Entwicklung natürlich und logisch. Aber mancher neue Schritt wirkte bei seiner Einführung und Umsetzung absurd. Norbert Kumor, der bis ins vergangene Jahr unser Shop-Geschäft leitete, hat darauf immer wieder hingewiesen, wie bahnbrechend auch die Entwicklung der Bistros war, als zum Beispiel die ersten Backöfen zum Brötchenverkauf an den Stationen eingebaut wurden. Die aktuelle Herausforderung ist für uns, mutig zu sein und über Neues nachzudenken.

Stracke: Dazu passt auch das Beispiel Kaffee ganz gut: Hier gab es eine Entwicklung von der Thermoskanne bis zum Kaffee aus frisch gemahlenen Bohnen. Wir haben damit vor 17 Jahren angefangen. Das war ein großer Sprung zu mehr Qualität, der auch bei uns innerhalb der Westfalen Gruppe einer Revolution gleichkam. Es galt, intern Hürden zu überwinden.

Westfalen hat oft früher als andere neue Projekte an den Start gebracht, beispielsweise bei der Entwicklung von Dienstleistungen. Was ist der Grund dafür?
Stracke: Wir setzen auf Kreativität. Nachdem die Eigentümerfamilie sich zum großen Teil aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen hat, haben wir mit Dr. Thomas Perkmann, Dr. Meike Schäffler und Jesko von Stechow einen neuen Vorstand, der ebenfalls auf kurze Wege im operativen Geschäft achtet. Auch bleiben wir ein Familienunternehmen. Das bedeutet, dass wir viele Freiheiten haben, uns weiterzuentwickeln.

Wie stellen Sie sicher, dass Sie neue Trends im Markt rechtzeitig aufnehmen und umsetzen?
Stracke: Wir arbeiten sehr stark in Teams, schulen diese kontinuierlich in Workshops, beobachten den Markt und besuchen Foren und Tagungen. Wir zapfen aber auch externe Quellen an, etwa Experten, die im internationalen Geschäft zu Hause sind. Wir glauben, dass wir gerade im Convenience-Markt gut aufgestellt sind.

Können Sie ein Beispiel nennen, wo Sie führend sind?
Stracke: Wir haben aktuell das Start-up-Unternehmen Fillibri gegründet und damit eine Online- Plattform mit einer App entwickelt. Im ersten Schritt wollen wir in diesem September mit der App das Thema Pay-at-pump ausrollen. Gleichzeitig können wir über die Plattform die Monitore an Tankstellen und auch an der Zapfsäule ansteuern und so das Marketing dort optimieren und individualisieren. So wollen wir Kunden schon beim Tanken ansprechen.

Sie sprachen davon, dass Sie eine Online-Plattform bieten. Was meinen Sie damit genau?
Stracke: Uns geht es darum, zu vermeiden, dass der Kunde eine große Zahl von Apps auf sein Smartphone herunterladen muss, um unterschiedliche Services und Funktionen in Anspruch nehmen zu können. Deshalb streben wir mit Fillibri eine Branchenlösung an, an der sich viele beteiligen können. Auf der App steht nicht Westfalen, sondern Fillibri ist ein Unternehmen, das eigenständig agiert und weiteren Unternehmen offensteht.

Worauf kommt es an, damit Fillibri ein Erfolg wird?
Stracke: Die entscheidende Größe ist ein breites Akzeptanz-Netz. Die großen Player auf dem Markt werden alle ihre eigenen Apps starten. Deshalb setzen wir mit Fillibri und der App auf Akzeptanz-Partner und wollen die Interessen des Mittelstandes bündeln und auch dort, im Mittelstand, die Datenhoheit behalten. Mit der App wollen wir direkt den Endkunden erreichen und gewinnen.

Haben Sie in diesem Zusammenhang auch über Lieferdienste an Tankstellen nachgedacht?
Schütte: Ja, wir denken darüber nach, auch wenn es um die so genannte letzte Meile geht. Wir denken über Pickup-Stationen nach oder arbeiten an unserem Gelsenkirchener Foodcourt „Zum Glück“ mit Lieferando zusammen. Die Akzeptanz ist gut, insbesondere zu Corona-Zeiten. Wir können all dies eben nur machen, wenn wir auch das Thema Digitalisierung spielen.

Welche weiteren Dienstleistungen sind für Fillibri angedacht?
Stracke: Wir denken beispielsweise an Autowäsche und weitere Möglichkeiten der Vorbuchungen. Dabei spielt die Customer Journey eine wichtige Rolle. Wir schauen danach, wo sie eigentlich beginnt. Erst wenn der Kunde die Tankstelle betritt oder schon vorher? Auch den Shop haben wir dabei im Blick und hier über weitere Dienstleistungen nachgedacht. Diese Entwicklung eröffnet uns zahlreiche Chancen.

Sie haben sicherlich Szenarien wie sich die Tankstelle in den nächsten fünf bis zehn Jahren verändert, gerade vor dem Hintergrund wechselnder Energieträger und den damit verbundenen Folgen für die Shops. Wie sind Ihre Prognosen?
Stracke: Wir werden bis 2030 einen erheblichen Absatzrückgang beim Kraftstoff zu verzeichnen haben. Wir gehen von bis zu 25 Prozent aus. Dagegen wird der Batterie- beziehungsweise E-Antrieb klar an Dynamik gewinnen. Wir meinen, dass diese Veränderung vor allem im städtischen und Kurzstreckenbereich stattfindet, nicht bei Langstrecken oder im Schwerlastverkehr. Mehr Bedeutung wird auch dem Thema LNG und speziell Bio LNG zukommen. Auch Wasserstoff wird eine Rolle spielen. Bei E-Fuels gibt es noch einige Unsicherheiten.

Hat der Wechsel des Energieträgers eine Bedeutung für die Shops?
Schütte: Er hat sicherlich eine Bedeutung. Aber es ist nicht so, dass dadurch die Relevanz verloren ginge. Der mobile Kunde hat an den Tankstellen nach wie vor einen Knotenpunkt, einen Hub, den er auf dem Weg zur Arbeit, im Umfeld oder beispielsweise auf der Fernstrecke ansteuert, um notwendige und wünschenswerte Dinge zu erledigen. Vielleicht entstehen in Zukunft sogar neue Chancen durch die Vision des autonomen Fahrens.

Stracke: Das Kraftstoffgeschäft verliert an Bedeutung. Aber wir wollen darauf natürlich nicht verzichten. Gleichzeitig wird das Foodvenience-Geschäft noch wichtiger. Wir setzen auf Modernität, Ambiente und auch auf Qualität und Frische in unserem Netz. Hinzu kommen die Faktoren Regionalität und Standort.

Was bedeuten diese Veränderungen konkret für ihre C-Stores?
Stracke: Wir glauben ganz fest an Convenience, Foodservice, Dienstleistung und Autowäsche – sie werten die Tankstelle als Mobilitäts-Hub entscheidend auf. Hier wird es Wachstum in den nächsten Jahren geben und wir wollen daran partizipieren. Das heißt, die Geschäftsanteile werden sich in Richtung Convenience und Foodservice sowie neue Energien verlagern.

Vor 25 Jahren wurde im Convenience-Geschäft oft nach dem Prinzip ‚trial and error‘ agiert. Heute hat man Zugriff auf Zahlen und Daten. Erleichtert das Entscheidungen?
Schütte: Ja, das kann ich nur bestätigen. Die Zahlen und Daten, auch die, die uns von Industriepartnern zur Verfügung gestellt werden, erleichtern uns das Fällen von Entscheidungen. Man muss sich aber immer klar machen, dass diese Zahlen nur Prognosen in die Zukunft ermöglichen . Es bleibt immer auch ein Restrisiko.

Stracke: Ein Risiko besteht aber auch darin, durch solche Daten das Shop- und Tankstellen-Geschäft zu sehr segmentieren. Unser Geschäft zeichnet sich durch den Slogan: ‚One stop, feel good‘ aus. Der Kunde kommt zu uns und kann viele Dinge erledigen. Man muss immer das Gesamtbild sehen. Die Corona-Krise hat dies noch einmal bestätigt: Der Kraftstoffabsatz ist gesunken, die Shop Umsätze haben aber zugelegt.

Wie kommt Westfalen zu engagierten Pächtern und welche Leute benötigen Sie, um erfolgreich zu sein?
Stracke: Es wird sicher nicht einfacher, Tankstellenunternehmer zu finden. Das Anforderungsprofil hat sich kontinuierlich verändert. Ich habe Respekt vor unseren Tankstellenpartnern. Sie machen einen sehr guten Job. Wir haben zu 90 Prozent Pächter, die die Stationen betreiben. Sie werden von einem Außendienst unterstützt, der zum Teil speziell auch das Bistro- und Convenience-Geschäft betreut.

Schütte: Wir unterstützen die Pächter bei der Sortimentslegung und -gestaltung. Zum Beispiel entwickeln wir Planogramme und passen diese auch an einzelne Standorte an. Wir sprechen aber auch regelmäßig mit der Industrie, beispielsweise in den Kategorien Tabak, Süßwaren oder Getränke, auch wenn es um Neuheiten geht, und setzen dabei auch auf digitale Möglichkeiten.

Entwickeln Sie neue Shop-Konzepte, auch für kleinere Stationen?
Stracke: Unser Netz sieht nicht mehr so aus wie vor 20 Jahren. Wir werden in den kommenden Jahrzehnten noch einmal eine Konsolidierung im Tankstellen-Markt erleben. Geschätzt bis zu 2.000 Tankstellen weniger. Umso wichtiger ist es, das eigene Netz nicht zu vernachlässigen. Auch nicht in ländlichen Gebieten . Wir schauen genau hin und entscheiden standortindividuell.