Lieferdienste Der große Optimismus

Food-Lieferdienste verbrennen sehr viel Geld. Insbesondere, wenn sie Express unterwegs sind. Auch künftig haben sie kaum Chancen auf schwarze Zahlen, meint Berater Prof. Otto A. Strecker.

Mittwoch, 21. Juli 2021 - E-Food
Martin Heiermann
Artikelbild Der große Optimismus
Bildquelle: Getir Deutschland

Anfang August startet Delivery Hero in Berlin seinen Lieferdienst. Der Newcomer bringt Expertise aus Asien und Nahost mit, wird in der Hauptstadt aber auf Wettbewerber wie Gorillas und Flink treffen. Diese Lieferdienste wollen ihre Kunden innerhalb von zehn Minuten mit bestellter Ware versorgen. Ähnlich wie Getir, der türkische Express-Food-Zusteller: Er setzt in Berlin seine Expansion fort. Die Gründer hätten nichts aus der Vergangenheit gelernt, meint Prof. Otto. A. Strecker im Gespräch mit CS.

Herr Prof. Strecker, können Sie nachvollziehen, warum die Rewe Gruppe nicht nur Warenlieferant für Flink ist, sondern kürzlich auch als Investor bei dem Lieferdienst eingestiegen ist?
Prof. Otto Strecker: Das ist eigentlich zwangsläufig. Aus den Zustellgebühren lassen sich Bringdienste wie Flink und Gorillas genauso wenig finanzieren, wie aus der Handelsmarge. Im Handel wird das Geld bekanntermaßen im Einkauf verdient. Erst durch den Eins-zu-Eins-Zugriff auf die Einkaufskonditionen eines großen Händlers kann ein solches Geschäftsmodell eventuell in die Nähe einer Gewinnschwelle kommen – und auch da bin ich noch skeptisch.

Durch die Covid-Krise wurde ein Online-Boom im Handel ausgelöst. Auch der E-Food-Handel legte deutlich zu. Wird sich dadurch nicht längerfristig das Verbraucherverhalten ändern, der Online-Lebensmittelhandel deutlich zulegen und damit auch die Wirtschaftlichkeit dieser Lieferdienste steigen?
Der Bedarf für solche Zustelldienste liegt objektiv eher in ländlichen und unterversorgten Regionen. Die Angebote von Flink und Gorillas existieren jedoch vor allem in den urbanen Zentren großer Städte. Verrückterweise ist es für die Besteller in Köln-Nippes oder Hamburg-St. Georg immer nur wenige Schritte vor die Tür, um den Bedarf zu decken. Auf dem Land hingegen werden die Dienstleistungen nicht angeboten, weil es dort noch deutlich schwieriger ist, eine kritische Masse zu erreichen.

Sie zeigen auf, dass schon vor rund 20 Jahren Unternehmen mit vergleichbarem Geschäftsmodell scheiterten beziehungsweise übernommen wurden. Zeigt das nicht, dass es für die Angebote eine Nachfrage auf Verbraucherseite gibt?
Es muss an der Jugend der Startup-Unternehmer und an dem jugendlichen Leichtsinn der Investment-Banker liegen, dass sich keiner mehr an die Totalverluste aus den beiden vergangenen Jahrzehnten erinnert. 2001 legte der US-Pionier Webvan eine milliardenschwere Pleite hin. Anleger verloren bis zu 34 US-Dollar pro Aktie, 2.000 Beschäftigte ihren Job. Beim Platzen der Dotcom-Blase waren zuvor schon ähnliche Geschäftsmodelle von Streamline und weiteren Lebensmittel-Lieferdiensten gescheitert. Der lange als Vorreiter gefeierte Pionier Peapod konnte nur mit einer Übernahme durch Ahold knapp gerettet werden. In Deutschland ist die Liste der gescheiterten Versuche ähnlich lang. Schon zur Jahrtausend-Wende war mit der Direktkauf AG ein bundesweiter Anbieter am Start, der flächendeckende Lieferungen versprach. Sogar im Bio-Segment waren Spezialisten wie die Unitednature angetreten. Klassische Lebensmittelhändler setzten damals schon eine Belieferung aus den stationären Geschäften dagegen. Keines der Geschäftsmodelle war jemals erfolgreich. Ob Otto, Karstadt, Direktkauf, Kaufhof, Spar, Tegut, LeShop oder andere: Die Liste der eingestellten Versuche ist lang. Gäbe es Gräber für Unternehmen, ließe sich allein mit den verschiedenen Lebensmittel-Bringdiensten ein kleiner Unternehmensfriedhof füllen.

Sie kritisieren grundsätzlich das Modell der Lebensmittel-Lieferdienste. Ist in diesem Geschäftsfeld nicht zu differenzieren, etwa zwischen Picnic, Hellofresh und Gorillas?
Das Prinzip der Kochboxen von Hellofresh ist viel besser zu kalkulieren. Abo-Modelle bieten den großen Vorteil der Verlässlichkeit in allen Bereichen, vom Wareneinkauf bis zur Logistik. Die Wahrscheinlichkeit, hier nachhaltig mit Gewinn zu wirtschaften, ist deutlich höher. Picnic fährt feste Routen – wie früher und zum Teil auch heute noch der Eier- oder der Fischhändler auf dem Land. Die Logistik ist also beherrschbarer, dafür ist es schwieriger, Wachstum zu generieren. Picnic bekommt daher nur eine mittelgute Prognose. Gorillas gehört mit Flink zusammen in die Kategorie der unverbesserlichen Optimisten, die nichts aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und sehr viel Geld verbrennen.

Auch Rewe.de, Bringmeister oder Mytime.de verdienen derzeit kaum Geld. Müssen Ihre Zweifel an dem Geschäftsmodell nicht grundsätzlich, inklusive knapper Margen und teurer Logistik, auf den gesamten Lebensmittel-Onlinehandel bezogen werden?
Rewe und Bringmeister sind letztlich regionale Angebote und nicht flächendeckend verfügbar. Immerhin wird aus eigenen Lagern kommissioniert, daher die regionale Beschränkung. Die Lagerlogistik ist nicht beliebig skalierbar und steht einem Wachstum im Weg. Mytime verschickt Ware mit klassischen Paketdiensten und vereint damit eine große Zahl an Nachteilen mit wenigen Vorteilen für den Kunden. Wer will sein Paket, schon bei der Post abholen müssen und am Ende selber in den vierten Stock tragen müssen? Was passiert mit Frischware, wenn Kunden nicht erreichbar sind? Das sind Fragen, die seit Beginn des E-Commerces Herausforderungen im Food-Bereich sind. Meine Prognose ist, dass diese Online-Angebote keine Zukunft haben. Rewe und Edeka werden ihre Online-Marktplätze zu digitalen Inkubatoren für den Gesamtkonzern erklären und sich vom Anspruch trennen, dort Geld verdienen zu wollen. Es geht dann um das Verständnis des Kunden, um Daten, um digitale Prozesskompetenz. Am Ende werden alle vergessen haben, dass man eigentlich mit der Zustellung von online bestellten Lebensmitteln Geld verdienen wollte. So erspart man sich viele Enttäuschungen.

Welche Bringdienste haben nach Ihrer Einschätzung Aussicht auf Erfolg? Gehören etwa Flaschenpost oder Hellofresh dazu?
Hellofresh aus den oben genannten Gründen. Flaschenpost ist als Geschäftsmodell etabliert. Schon immer gibt es Getränkelieferdienste, die auch aus den Margen des Geschäftes finanzierbar sind. Neu ist der nationale Ansatz. Hier wird zunächst viel in den nationalen Auftritt investiert. Der Wettbewerb in vielen Regionen kostet zunächst Marge, wird aber langfristig als eingeführtes Geschäftsmodell erfolgreich sein. E-Food kann funktionieren. Gerade, wenn man, wie Flaschenpost, aus der Vergangenheit lernt.