Jahrestagung Die Zukunft beginnt jetzt

„Lasst uns gemeinsam die Branche verbessern.“ Dazu forderte Lekkerland-Chef Patrick Steppe auf der Jahrestagung Handel und Wandel in Tankstellen und Convenience Shops auf. Ein Anliegen, dem sich die Teilnehmen bei diesem Branchentreff zum wiederholten Mal anschlossen.

Dienstag, 03. April 2018 - Awards
Ulrike Pütthoff, Hans Jürgen Krone
Artikelbild Die Zukunft beginnt jetzt

Seinem Ruf als Top-Event der Convenience-Branche wurde Handel und Wandel in Tankstellen und Convenience Shops erneut gerecht. Die zwei Tage von Berlin waren randvoll mit Informationen zum aktuellen Stand der Dinge in den relevanten Vertriebskanälen der Branche. Bemerkenswert war aber vor allem der intensive Austausch zwischen den Teilnehmern. Vom frühen Morgen bis spät in die Nacht wurde über die Herausforderungen im Convenience-Geschäft und die Frage, wie man sich optimal darauf einstellt, diskutiert. Kein Wunder, denn der Boom des Außer-Haus-Marktes, so der Terminus in der Gastronomie, hat bei Playern in Retail und Gastronomie den Fokus erneut auf das Convenience-Geschäft gerichtet.

Konzeptionelle Unterstützung

„Das ist Fluch und Segen zugleich“, sagte einer der Teilnehmer gegenüber Convenience Shop. Einerseits läuft das Geschäft gut und die Zahl geeigneter Partner und Lieferanten der Shop-Betreiber sowie die bekannten Partner bieten immer mehr konzeptionelle Unterstützung für die Betreiber an. Andererseits wächst der Druck von Playern aus anderen Märkten, wie beispielsweise aus dem Lebensmittel-Einzelhandel, der Bäckereien aber auch aus vielen Bereichen der Gastronomie. Sie versuchen, die convenience-orientierten Kunden mit entsprechenden Angeboten an sich zu binden. Das ist natürlich wenig erfreulich für die Shop-Betreiber, die sich auf der besonderen Mischung ihres Angebotes aus Dienstleistung, Retail und Gastronomie längst nicht mehr ausruhen können. Allerdings kann diese problematische Entwicklung auch ein wichtiger Weckruf für diejenigen sein, die darauf setzen, dass alles einfach so weiter läuft. Ein großer Teil der Branche, das machte die Berliner Veranstaltung ebenfalls deutlich, hat entweder längst seine Hausaufgaben gemacht oder den entsprechenden Veränderungsprozess bereits eingeleitet. Das zeigten Player wie Valora, die mittelständische Mineralölgesellschaft Oest aus Süddeutschland, Shell und viele andere in Berlin auf.

Ansatzpunkte dabei sind natürlich strategische Veränderungen, mit denen sich die Branche beispielsweise auf die gestiegene Herausforderungen durch Gastronomen und Bäcker einstellt. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass entsprechende Konzepte wie das von Lekkerland initiierte Frischwerk in diesem Jahr mit dem Preis Shop des Jahres ausgezeichnet wurden. Auch wenn die marktbeherrschende Stellung der Frechener naturgemäß von vielen Akteuren durchaus kritisch gesehen wird, zollt die Branche damit den konzeptionellen Anstrengungen, die Lekkerland-Boss Patrick Steppe seit Übernahme dieser Position unter dem Stichwort Retail-Enablement forciert, durchaus Respekt. Das gilt auch für die Tatsache, dass er sich nicht scheute, die negativen Umsatzentwicklungen in einigen typischen Convenience-Sortimenten zu thematisieren und den Handlungsbedarf sehr konkret aufzeigten.

Intensiv diskutiert wurde in diesem Zusammenhang im Laufe der Veranstaltungen, wie viel Sinn es macht, die Sortimente mit Produkten junger innovativer Unternehmen aufzupeppen. Erneut stellten sich im Rahmen der Veranstaltung Startups vor, die im Convenience-Geschäft mitmischen wollen. Die Frage, ob man diesen Unternehmen den Zugang zum Convenience-Markt erleichtern kann oder muss, wird die Branche in den kommenden Monaten sicherlich stark beschäftigen.

Der Druck wächst

Die weit größere Herausforderung allerdings scheint zu sein, all das, was sich die Entscheider konzeptionelle auf die Fahnen schreiben, im Alltag nachhaltig zu implementieren. Der Druck auf die Shop-Betreiber vor Ort wächst. Durch die nicht gerade steigenden Verdienstmöglichkeiten, gepaart mit dem Anspruch, anspruchsvolle Sortiments- und Gastro-Konzepte dazustellen – und das oft mit vielen ungelernten Aushilfskräften. Deshalb lautet ein zentrales Learning der diesjährigen Veranstaltung: Nur wenn alle beteiligten Partner es schaffen, die von den Convenience-Kunden geforderte Flexibilität, Leichtigkeit und Bequemlichkeit auf allen Ebenen des Marktes glaubwürdig zu leben, können sie ihre Anziehungskraft erneuern und verstetigen.

Doch in der Praxis weht ein starker Wind. Das zeigte auch die allenthalben geführte Diskussion über die zu diesem Zeitpunkt noch bevorstehende Urteilsverkündung des Bundesverwaltungsgerichts zu Fahrverboten für Dieselfahrzeuge. Die Konsequenzen sind noch nicht abzusehen, nicht nur für die Diesel-Fahrer, Hersteller und die Kommunen selbst, sondern auch für die Branche. Tankstellen werden nun einmal mit Kraftfahrzeugen angefahren und beliefert. Simpel gesagt, wenn ein Teil der Kunden wegbricht, weil sie einen großen Bogen um ein Ballungszentrum machen müssen, wäre das manchem Store nicht zuträglich.

Die bereits erwähnte ernüchternde Analyse der wichtigen Warengruppen in Tankstellen (Tabak, alkoholfreie Getränke, Bier, Spirituosen, Süßwaren und Speiseeis) nach Umsatz und Absatz (2017) führte Lekkerland-Chef Patrick Steppe darauf zurück, dass die Branche Kunden an andere Kanäle verliert. Sowohl der Lebensmitteil-Einzelhandel als auch die Quick-Service-Betriebe sowie Bäckereien hätten in den vergangenen Jahren in die Flächen und Warengruppen investiert und damit eine Gesamtzufriedenheit beim Kunden geschaffen. Im Shop-Bereich hat der Fachgroßhändler seine Erkenntnisse zur Erreichbarkeit, Atmosphäre, zu den Preisen und zum Produktangebot sowie zu Schnelligkeit im Konzept Frischwerk materialisiert. Tankstellen-Shops, in denen es umgesetzt ist, haben sich nach eineinhalb Jahren laut Steppe gut entwickelt und weisen einen höheren Durchschnittsbon auf. Mit seinen Überlegungen zur Demokratie und Diktatur im Convenience-Shop ging Kai Ellerbrock von Market Grounds kritisch mit den Großkonzernen zu Gericht. Er rief die Handelspartner quasi zu einer Revolution auf, sich von „der Geißel der Flächenproduktivität, von Werbekostenzuschüssen und überproportionierten Listungsgeldern“ zu befreien. Diese Diktatur führe zu Innovationsreduzierungen in den Regalen, meinte er und brach eine Lanze für alle Startups. Sein Eindruck sei, dass ihre Pläne sehr stabil seien und man sich darum nicht nur mit den globalen Playern in der Indusrie beschäftigen sollte.


Regional und flexibel

Auf „Reize der Individualität“ setzt das baden-württembergischen Mineralölunternehmen Oest. Das heißt, neben den persönlichen Vorstellungen auf die Wünsche der Tankstellenpartner einzugehen, das lokale Umfeld einzubinden und flexibel in der Nutzung der baulichen Gegebenheiten zu sein. Das aber erfordere Mut und Kreativität, erklärte Geschäftsführer Matthias Pape. Ein Beispiel ist die Tankstelle Freudenstadt-Kniebis, wo das Unternehmen den Spagat zwischen dem Retro-Look der 60er und modernen Standards gewagt hat und damit in neue Geschäftsfelder nämlich in Richtung Gastronomie vorgestoßen ist. Pape belässt es dort nicht bei einem Frühstücksbuffet, Mittagstisch oder Brunchtage. Das Oest-Team kreiert dort auch spezielle Events und schafft mit der Tankstelle einen Touristenmagneten (Motto: die andere Wanderhütte).

Kniebis sei ein klassischer Imageträger für Oest und habe dem Unternehmen Aufmerksamkeit in den Medien verschafft. Jedenfalls mussten kurze Zeit nach der Eröffnung 2016 erste Anpassungen vorgenommen werden, wie Erweiterung der Sitzmöglichkeiten und Ausbau des Parkplatzes. Außerdem benötige ein gastroorientiertes Format andere Mitarbeiterqualifikationen und man müsse sehr flexibel agieren, weil das Konzept wetterabhängig ist. Es gebe aber auch „Grenzen der Freiheit“, sagte Pape und erklärte, dass der Aufwand sowie das Investment hoch waren. Man hatte so gut wie keine Routine mit einer Retro-Tankstelle, insofern gestaltete sich die operative Betreuung etwas aufwändig, was nicht unbedingt Kosten einsparte, aber einen gewissen Ergebnisdruck aufbaute. Außerdem kämen auf die Mitarbeiter andere Anforderungen als in einem klassischen Tankstellen-Shop zu. Dennoch ist für Pape das Gastro-Konzept ein Weg für dieses Format.

Kaffee-Geschäft ausbaufähig

Mehr oder weniger bestätigt wurde das von Holger Preibisch. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Kaffeeverbandes belegte mit Zahlen aus einer Studie, dass gerade im To-go-Bereich noch Luft nach oben ist. Durchschnittlich trinkt demnach jeder Kaffeetrinker in Deutschland pro Jahr gut 203 Liter, davon ein knappes Viertel außer Haus. Der Pro-Kopf-Verbrauch erreicht gerade einmal 3 Liter, von denen 8,3 Prozent an der Tankstelle, 4,6 Prozent am Kiosk und 3,2 Prozent an der Autobahn-Raststätte erworben werden, und im Schnitt zu einem günstigeren Preis als in einem Coffeeshop. Doch nicht allein im Markt des Heißgetränkes steckt noch Potenzial. Oft kaufen sich diese Kunden gern noch etwas Süßes, ein Frühstück oder ein warmes Essen usw. Im Vergleiche zu Bäckereien ist das Cross-Selling-Geschäft in der Tankstelle noch ausbaufähig, vor allem beim Kuchen oder süßem Gebäck.

Digitalisierung zur Steuerung und Kundenbindung

Bevor Torsten Rieger von Orlen die neue Star-Tankstelle präsentierte, erklärte er den Weg zu diesem neuen Konzept. Die Mineralölgesellschaft beschäftigte sich mit den unterschiedlichen Arten von Mobilitäten, etwa auch wie groß der Wechsel der Verkehrsmittel ist, welche Veränderungen es im Tagesablauf eines Kunden gibt und welche Informationsquellen er nutzt. Dazu kommen warnende Prognosen, wonach die Tankstellen verschwinden und durch Straßen mit Ladesäulen ersetzt werden. Aber was erwartet der heutige Kunde, der in seinem Verkehrs-, Konsum- und Kommunikations-Verhalten flexibler und weniger festgelegt ist, von einer Tankstelle? Rieger ist überzeugt, dass sie die Stationen künftig vor allem als Treffpunkt nutzen. Vor diesem Hintergrund basiert das Investitionsprogramm Star-Connect auf acht Säulen: angefangen vom Shop-Design, über Convenience- und Gastro-Angebot, Service, Hygiene, Carwash, Digitalisierung usw. Das alles spiegelt die neue Star-Generation wider. Zum Beispiel wurde der Flächenanteil für das Bistro erhöht, wobei der Schwerpunkt auf den To-go-Produkten liege. Bei den Service-Modulen schaut Orlen sich ganz genau an, was zu den einzelnen Standorten passt. Dabei sei es wichtig, den Kunden bereits im Forecourt zu erreichen und dort Zusatzleistungen anzubieten.

Auch die Digitalisierung wird an der neuen Star gezielt umgesetzt. Category Management in Realtime erleichtert die internen Arbeitsschritte. Dazu kommt, dass sich jeder siebte Kunde bereits eine Bezahlung an der Tanksäule wünscht. Marketingtechnisch geht die Mineralölgesellschaft ebenfalls mit der Erweiterung der Digital-Signage-Elemente in die Zukunft und empfängt die Shopper mit einem Eingangsportal, das von Bewegtbildern umgeben ist.


Zugang zu Glücksmomenten

Weil Valora Deutschland sich den Retail-Bereich auf die Fahnen geschrieben hat, rückt der Mitarbeiter vor Ort stärker in den Fokus. „Sie brauchen mehr Wertschätzung und die volle Aufmerksamkeit“, erläuterte Valora-Chef Peter Obeldobel, wenn sie als „Glücksbringer“ 1,6 Mio. Kunden täglich (Valora Gruppe) gegenübertreten sollen. Coaching sieht er darum als wesentlichen Bestandteil der Führungskultur. Sein Anspruch ist, zu motivieren. Doch das gelingt seiner Meinung nach am besten, wenn man dem Mitarbeiter Anerkennung entgegenbringt, ihn leicht überfordert und ihm die eigene Rolle bewusst macht. Schließlich hat Valora ambitionierte Ziele und braucht kompetente Menschen für jeden Standort. Im Rahmen der Mission 2020 sollen zum Beispiel 1.000 Cigo-Fachgeschäfte mit bis zu 90 Prozent Franchise-Nehmern entstehen. Das Format könnte den K Kiosk ablösen, denn Valora wolle raus aus der Imageecke eines Kiosks. Außerdem strebt der Händler mit P&B Press und Books die Marktführerschaft an Bahnhöfen und mit Avec und U-Store die an Busbahnhöfen und Regionalbahnen an.

Shell hat sich die Technologie-Führerschaft auf die Fahnen geschrieben und will in diesem Jahr das Bezahlen an der Zapfsäule in Deutschland flächendeckend einführen. „Denn die Tankstelle ist ein Ort, um schnell etwas zu erledigen“, rief Patrick Carrè, General Manager Retail DACH, in Erinnerung und betont: „Das Heil liegt nicht darin, einen Supermarkt an die Tankstelle zu bringen.“ Vielmehr hat der Konzern anhand von Kundendaten die Verbraucher geclustert, etwa in Ernährungsbewusste, Feinschmecker, Snacker oder auch Sparfüchse und solche, die schnelle Lösungen suchen. Danach werden die passenden Shop-Formate entwickelt. Ein Mammut-Programm – aber Carrè gab gleich zu verstehen, dass der Mineralölkonzern das nicht alleine bewältigen, sondern starke Partner ins Boot holen will.

Vertiefend hatte auch Martin Kingdon von der Nonprofit-Organisation für Instore-Marketing Popai Beispiele zu Shell-Technologien parat, die im europäischen Ausland teilweise schon praktiziert werden. Zum Beispiel einen Bringservice für Benzin und Diesel. Damit war der Konzern testweise in den Niederlanden gestartet: Mit der App Tap up kann eine Tankfüllung nach Hause oder an einen x-beliebigen Ort geordert werden. Der Literpreis entspricht dem an einer Tankstelle. Für die Lieferung wird eine Pauschale von rund 4 Euro erhoben. Gebracht wird der Kraftstoff mit einem kleinen Elektro-Tankwagen.

Energie für Menschen und Maschinen

Ganz auf E-Mobilität umgestiegen ist Roland M. Schüren, Inhaber der Bäckerei Schüren, mit 18 eigenen Filialen und Großkundenbelieferung. 2013 hat er seine eigene Energiewende eingeläutet: Der Backbetrieb wurde zum gewerblichen Plus-Energiegebäude umgebaut und ein Ladepark eingerichtet. Ergebnis: Bei steigender Produktion sank der CO2-Ausstoß des gesamten Unternehmens auf null. Gelungen ist das durch eine sinnvolle Energienutzung aus der Photovoltaik-Anlage: Überschüsse werden nicht ins Netz eingespeist. Was morgens beim Backprozess nicht verbraucht wird, fließt nachmittags in die Ladesäulen für die elektrisch betriebenen Liefer- und Firmen-Fahrzeuge, die auch öffentlich genutzt werden können.

Energie für die wartenden Menschen gibt es dann in den Bäckereien und zwar in Form eines 22 kW-E-Mobil- oder 50 kW-ChadeMo-Frühstücks mit den üblichen Kaffeespezialitäten, Brötchen usw.. Schüren dürfte ein mögliches Dieselfahrverbot in der Ballungsregion um Hilden nicht treffen. Doch angesichts der Tatsache, dass Tankstellen zwar Frequenzbringer sind und verstärkt andere Funktionen übernehmen (vom Paketverteiler bis zur Wohlfühloase), erscheint das aktuelle Urteil in neuer Dimension.

Darüber hinaus hatte Dr. Jochen Wilhelm einiges zur Stimmungslage auf Betreiberebene zu sagen. Denn laut einer Umfrage seines Tankstellen-Interessenverbandes verspricht sich nur ein Fünftel etwas vom Mobilitätswandel, und weit mehr als die Hälfte (62 Prozent) sehen die Situation für künftige Branchen-Neueinsteiger sogar recht düster. „Die Tankstelle der Zukunft ist die Straße, das eigene Haus, das Auto, die gesamte Stadt“, zitierte der Geschäftsführer aus einem Spiegel-Online-Beitrag. Insofern sollte das Anforderungsprofil von morgen durch den Willen, die Tankstelle zu erhalten, geprägt sein. Denn über die Kraftstoff-Abgabe hinaus gewinnt sie als Service-Einrichtung, Paketverteiler oder als Wohlfühloase an Bedeutung.

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Über die Vortragsthemen wurde auch in den Pausen diskutiert.
Bild öffnen
Bild öffnen Die Podiumsdiskussion zum Thema Shop-Gastronomie im Wandel ging den Fragen nach: Kooperationen oder Alleingang? To go oder to sit?
Bild öffnen