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Serkan Antmen ist beunruhigt. „In Sachen bedrohlicher Postsendungen erreichen uns verstärkt Hinweise und Anfragen unserer Mitglieder.“ Das berichtet der Leiter Unternehmensberatung Post und Informationslogistik beim Deutschen Verband für Post, Informationstechnologie und Telekommunikation (DVPT). Die Zahl der Fälle sei in jüngster Zeit so stark angestiegen, dass der DVPT im August eine Warnung veröffentlicht habe. Außerdem hat der Verband eine kostenfreie „Checkliste zur Einschätzung des eigenen Risikos“ erstellt und weitere Spezialseminare in sein Programm aufgenommen.
Spektakulärer Bestandteil dieser Seminare sind gezielte Sprengungen von nachgebauten Briefbomben. Als einziger deutscher Sicherheitsfachmann darf der Referent Thilo Ohrmundt, der seit 1996 Sicherheitskonzepte für den Postbereich entwickelt, solche Nachbauten konstruieren und im Rahmen praktischer Vorführungen detonieren lassen.
Keine gefährliche Routine entwickeln
Warum Sicherheitsexperten Bomben per Brief oder Paket für eine wachsende Gefahr halten – dafür bestehen manche gute Gründe. Zu ihnen zählen die wachsende Brisanz von hochwertigen Sprengstoffen, die zunehmende Verbreitung von Bauanleitungen im Internet und nicht zuletzt das geringe Entdeckungsrisiko für die Täter.
Ausgereifte Sicherheitstechnik wie zum Beispiel Metalldetektoren, „Sniffer“ zum Erkennen chemischer Gefahrenstoffe, Röntgengeräte und Massenspektrometer machen es in großen Poststellen relativ leicht, Bomben in Briefen oder Paketen zu entdecken. Doch solche Technik hat ihren Preis und zählt nicht zum Standard in konventionellen Postshops.
Um so wichtiger sind sensibilisierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Der größte Feind der Sicherheit in den Poststellen“, weiß Ekkehard Hahn, „ist die gefährliche Routine.“ Jeden Tag aufs Neue müssten die Mitarbeiter „ein gesundes Misstrauen entwickeln“, empfiehlt der Geschäftsführer der Mail Professionals GmbH in Frankfurt am Main, die Poststellen in Behörden und Unternehmen berät und betreibt. Deshalb rät er zu Testsendungen, die unter realistischen Bedingungen zu unerwarteten Zeitpunkten eingeschmuggelt werden könnten.
Eine bedrohliche Sendung zu erkennen – das ist ohne den umfassenden Einsatz technischer Hilfsmittel kein Kinderspiel. Schließlich werden Brief- und Paketbomben nicht industriell gefertigt, sondern sind individuelle Konstruktionen, die sich häufig am Prinzip des höchstmöglichen erreichbaren Schadens orientieren. Aber Experten wie etwa die des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg raten aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen dazu, bei bestimmten Indizien hellhörig zu werden.
Sollte eine verdächtige Sendung entdeckt werden, muss sie zuerst räumlich abgeschirmt werden – am besten in Räumen mit Fenstern, die an eine Außenwand grenzen. Der nächste Schritt ist eine Evakuierung des Geländes – alle Personen müssen es verlassen – und das Verständigen der Polizei. Die alarmiert die Sprengmeister, die Tag und Nacht Bereitschaft haben. Und keine Sorge: Stellt sich eine dubiose Sendung als Bombe heraus, werden die Postshop-Betreiber nicht zur Kasse gebeten.
Anschläge per Brief- und Paketbomben sind seit Jahrzehnten im In- und Ausland ein Thema. In den neunziger Jahren wurde Österreich von einer Anschlagsserie erschüttert, die vier Tote und 13 Schwerverletzte forderte. Verantwortlich war ein politischer Wirrkopf mit rechtsextremistischer Gesinnung. Ebenfalls in den neunziger Jahren wurde in den USA der so genannte Una-Bomber verhaftet, der bei 16 Briefbomben-Anschlägen gegen Universitäten und Fluglinien drei Menschen getötet und 23 verletzt hatte. Wer im Juni 1991 den Referatsleiter der Berliner Senatsbauverwaltung, Hanno Klein, per Briefbombe ermordet hat, ist hingegen bisher nicht ermittelt worden.