Eine Überraschung brachte den Online-Lebensmittelhändler Picnic in den vergangenen Wochen erneut in die Schlagzeilen: Das Unternehmen gab bekannt, gemeinsam mit Edeka eine internationale Einkaufsgemeinschaft zu gründen. Die neue Gesellschaft mit Namen Everest wird ihren Sitz künftig in Amsterdam haben. Laut Picnic-Mitgründer Michiel Muller, der auch Chef des niederländischen E-Food-Anbieters ist, hat die Intensivierung der Zusammenarbeit mit dem größten deutschen Lebensmitte-Einzelhändler vor allem ein Ziel: Picnic wolle sich auf eine Expansion auf dem französischen und dem britischen Markt vorbereiten. Was er nicht sagt, ist, dass Picnic sich durch diese Kooperation auch günstigere Beschaffungsoptionen verschafft. So können Lebensmittel zu besseren Preisen an die Verbraucher weitergegeben werden.
Gleichzeitig stützt die engere Zusammenarbeit mit Edeka aber auch die geplante weitere Expansion von Picnic in Deutschland. Günstigere Einkaufskonditionen erleichtern das Wachstum. Das bestätigte im Gespräch mit Convenience Shop Frederic Knaudt, Deutschland-Geschäftsführer und Mitgründer des Unternehmens. Weitere Liefergebiete und Städte liegen im Fokus des E-Food-Händlers. „Wir werden in Nordrhein-Westfalen unser Verbreitungsgebiet weiter ausdehnen“, so seine Ansage. Die Erweiterung gehe in Richtung östliches Ruhrgebiet oder auch Leverkusen, spielte er die Möglichkeiten durch. Wenn dort Wettbewerber aktiv seien, erhöhe das sogar die Akzeptanz im Markt. Aktuell weitet Picnic sein Liefergebiet nach Münster aus. Vom Hub in Münster-Loddenheide sollen zehn Elektro-Vans und 25 Runner für rund 105.000 Haushalte in Münster, Hiltrup und Wolbeck bereit stehen.
Mitentscheidend für die räumliche Expansion sei immer auch die Akquise geeigneter Standorte für die Auslieferungslager, die so genannten Hubs, sagte Knaudt. Vier solcher neuen Standorte habe Picnic bereits gefunden. Wo diese sich befinden, wollte er allerdings noch nicht mitteilen. Sobald diese öffentlich werden, ist dann auch die Richtung der weiteren räumlichen Ausdehnung bekannt. Dass diese die Landegrenzen von NRW mittelfristig überschreiten werden, wollte der Picnic-Mitgründer nicht ausschließen.
Breakeven nicht entscheidend
Auch andere Faktoren zeigen bei Picnic in Richtung Expansion: „Wir sind noch ein junges Unternehmen. Entsprechend ist Wachstum und auch die Erschließung neuer Liefergebiete für uns wichtig. Das heißt aber nicht, dass wir den einzelnen Standort nicht schon jetzt profitabel bekommen könnten“, betonte Frederic Knaudt gegenüber unserem Magazin. Das Erreichen des Breakeven , also das Schreiben schwarzer Zahlen, sei deshalb momentan für den Lebensmittel-Onlinehändler nicht das entscheidende Kriterium.
Dagegen scheinen Wachstum und Expansion für Picnic derzeit geradezu ein Muss zu sein. Das bestätigt aktuell erneut eine Untersuchung. Denn der Online-Supermarkt Picnic belegt in der repräsentativen Kundenzufriedenheitsstudie „Smart Shopping“, die 917 Unternehmen aus 87 Branchen unter die Lupe nahm, den ersten Platz in der Kategorie „Lebensmittel Online“. Damit liegt Picnic vor Mitbewerbern wie Amazon Fresh, Rewe und auch vor dem Einkaufspartner Edeka.
Ein Grund für das gute Abschneiden ist sicherlich auch, dass Picnic-Kunden die Möglichkeit haben, zu denselben niedrigen Preisen, zu denen sie im Supermarkt und beim Discounter einkaufen können, online zu bestellen. Wie das funktionieren kann, erläutert Knaudt so: Ein internes Team aus Pricing Analysten vergleicht über 30.000 Produktpreise der größten stationären Supermärkte und der Discounter. Das eigene Analysetool, eine Software die Picnic selbst entwickelt habe, erkenne die Preisänderungen und passe den Picnic-Produktpreis automatisch an den günstigsten Preis im Markt an. „Picnic hat ein komplett neues System entwickelt, das auf teure Läden verzichtet und bei dem die Lebensmittel ohne Umwege direkt nach Hause geliefert werden“, betont er. Das habe Vorteile für die Frische der Lebensmittel, die Nachhaltigkeit der Lieferkette und für die Kosten insgesamt. Die Kunden zahlen also keinen höheren Preis als im stationären Handel und erhalten die Lieferung gratis. Voraussetzung dafür sei, dass der E-Food-Anbieter sich selbst nicht nur als reinen Händler begreift, sondern auch als Tech- und Logistik-Dienstleister. Die Konsumenten honorieren es.
90.000 Neukunden auf den Wartelisten
Vor allem in der derzeitigen Pandemie-Situation stieg die Nachfrage – wie bei anderen E-Commerce-Händlern auch – deutlich an. Zeitweise standen, laut Knaudt, bis zu 90.000 Neukunden auf den Wartelisten des Düsseldorfer Unternehmens. Zu Beginn seien die Neuanmeldungen explodiert, lagen 500 Prozent über denen vor der Pandemie. Mittlerweile liege man bei den Neuanmeldungen immer noch bei einem Plus von mehr als 100 Prozent. Das habe seit März zu einer deutlichen Erhöhung der Kapazitäten geführt. Zwar habe man einerseits zu jedem Zeitpunkt die bisherigen Bestandskunden bevorzugt beliefert, doch andererseits auch unterschiedlichste Maßnahmen ergriffen, um die Nachfrage abdecken zu können. „Wir haben beispielsweise die Anzahl der Mitarbeiter auf 1.500 erhöht und sind auch weiterhin dabei, Personal aufzubauen.“ Auch im Bereich der Logistik habe man einen Kraftakt vollzogen. Die Verfügbarkeit der Waren sei eine der größten Herausforderungen gewesen. Die Belieferungszeiten wurden entsprechend auf den Samstag, und als dies möglich war, auch auf den Sonntag ausgeweitet, was bei den Gewerkschaften nicht unbedingt gut angekommen ist. Zudem wurde die Zustellung der Food-Produkte an die Haustüre auf die Vormittagsstunden der anderen Wochentage ausgedehnt. „Vor der Krise habe wir erst ab 14 Uhr ausgeliefert. Entsprechend war nun Nachtarbeit in der Logistik von Nöten“, sagt Knaudt. Auch neue Auslieferungslager haben die Düsseldorfer in den vergangenen Monaten eröffnet. Eines davon ist das zweite Picnic-Kühllager und Fulfilmentcenter in Herne, das mit Unterstützung durch das Land Nordrhein-Westfalen und die Stadt Herne in kürzester Zeit Anfang April an den Start gehen konnte (Siehe Kasten Herne). Ein drittes Kühllager hat der E-Food-Händler offenbar in der Planung. Insgesamt betreiben die Düsseldorfer derzeit 14 Auslieferungsstandorte in 14 Städten und erreichen damit rund fünf bis acht Prozent der Haushalte in ihren Liefergebieten. Und auch minimal darüber hinaus: Denn man fahre, so Knaudt, jetzt auch Kunden außerhalb der Liefergebiete an, soweit die Touren es zulassen.
Rund 70 Prozent der Haushalte, die bei Picnic bestellen, sind Stammkunden. Das heißt sie erledigen ein mal in Woche ihren regelmäßigen Einkauf bei dem Lebensmittel-Onlinehändler und nutzen dafür meistens den gleichen Zeitslot am selben Wochentag. Vor allem Familien gehören zu dieser Kundengruppe. Sie schätzen einerseits den Service durch die Picnic-Auslieferungsfahrer, andererseits bewerten sie aber auch das einfache Handling der App des E-Food-Anbieters positiv, zeigt sich Knaudt überzeugt. Das sei jedenfalls die Rückmeldung vieler auch älterer Nutzer. Stammkunden legten häufig immer die gleichen Produkte in ihren Warenkorb und bekämen diese bei Folgeeinkäufen wieder angezeigt.
Mit eigener Bio-Handelsmarke
Dennoch biete der Online-Shop ein breites Sortiment. Nicht nur neue Produkte würde kontinuierlich durch das Trading Team ins Angebote auf genommen. „Wir sind auch ständig auf der Suche nach neuen Partnern, Herstellern regionaler Produkte, die zu uns passen“, erläutert der Picnic-Chef. Diese würden direkt in den Fulfillment-Centern des Unternehmens gelistet und auch dort angeliefert. Ansonsten kann Picnic sich in den Lagern der Edeka bedienen und wohl bald, dank der neuen Zusammenarbeit mit dem Lebensmittel Einzelhändler, zudem eine eigene Bio-Handelsmarke auf den Markt bringen.
Die Picnic-Handy App ist eine Eigenentwicklung des Lebensmittel-Online-Händlers.