Noch schnell in den Convenience-Store und einen Snack und einen Drink kaufen? Hat denn der Tankstellen Shop überhaupt noch um diese Uhrzeit geöffnet und was ist mit dem Kiosk drei Straßen weiter? Oder mal den unbemannten neuen Shop ausprobieren, den ein Schweizer Unternehmen jetzt in Stadtteil betreibt? Oder gleich alles online? Mit diese oder ähnlichen Entscheidungen sehen sich künftig immer mehr Convenience-Kunden konfrontiert, denn die sich weiter wandelnden Lebensverhältnisse werden das Geschäft mit der Bequemlichkeit in Zukunft antreiben. Davon wird auch der E-Food-Markt profitieren. Das machen die neuesten Zahlen deutlich.
Der Onlinehandel hier zu Lande steuerte im vergangenen Jahr auf einen Umsatzrekord zu. Nach dem bisherigen sehr guten Verlauf werde für das gesamte Geschäftsjahr ein Wachstum von mindestens elf Prozent im Vergleich zum Vorjahr erwartet, teilte der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel, bevh mit. „Auf dieser Basis werden wir sicher im Jahr 2019 erstmalig die 70-Milliarden-Euro-Grenze im E-Commerce knacken», sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Martin Groß-Albenhausen. Der E-Commerce hat demnach einen Anteil von über 98 Prozent am gesamten Interaktiven Handel. Dieser enthält zusätzlich die telefonischen oder schriftlichen Bestellungen.
Wachstumsprognose für E-Food
Sicherlich betreffen diese Zahlen in erster Linie noch nicht den E-Food-Handel, sondern vor allem das Nonfood-Geschäft. Doch auch der Online-Einkauf von Lebensmitteln wird weiter wachsen. Das prognostiziert aktuell das Institut für Handelsforschung, IFH in Köln. „Der Durchbruch im Online-Lebensmittelhandel kommt – das steht außer Frage,“ sagt Eva Stüber, Mitglied der Geschäftsleitung am IFH Köln. Da sich Angebot und Nachfrage bedingen und die Konsumenten soweit sind, hätten die Anbieter klar das Steuer in der Hand, kommentiert sie. Aufgrund der Marktgröße werde jedoch weiter ein langer Atem gefragt sein. „Dabei wird jeder Prozentpunkt, der sich Richtung online verschiebt, den Gesamtmarkt langfristig verändern. Wer Gestalter, Mitläufer und Verlierer dieser Entwicklung sein wird, zeigt sich daran, wie gut die Hausaufgaben nun gemacht werden“, so Stüber weiter.
Sie argumentiert auf der Grundlage einer neuen Studie mit dem Titel „Lebensmittel online – heute und 2030“, die das Kölner Institut zum Anfang des Jahres vorstellte. Der Anteil des Lebensmittel-Online-Handels am Gesamtmarkt wird demnach 2030, also in zehn Jahren, zwischen 5,2 bis maximal 9,1 Prozent liegen.
Ausschlaggebend für die zunehmende Nachfrage am Lebensmittel-Online-Handel werden die neuen Lebensumstände der Verbraucher sein, meinen die Kölner. Diese werden dann zu einem Wandel führen und somit das von Gewohnheiten geprägte Einkaufsverhalten verändern. Zu den häufigsten Auslösern für eine Veränderung des Kaufverhaltens zählen laut Studie die Familiensituation bei rund 41 Prozent der befragten Teilnehmer, das Wohnen bei 34 Prozent und die Arbeit bei 29 Prozent. Für 44 Prozent der Befragten ist allerdings eine neue Angebotssituation der stärkste Treiber für eine Veränderung ihrer Einkaufsgewohnheiten.
Online-Shopper wollen noch mehr im Internet kaufen
Vor allem Personen, die bereits Lebensmittel online kaufen, sind laut Studie besonders offen. So geben zwei von drei Online-Shopper von Lebensmitteln an, ihr Einkaufsverhalten aufgrund einer veränderten Angebotssituation angepasst zu haben, so ein Ergebnis der Studie.
Ein Hauptmotiv für den Online-Einkauf sollte die Convenience-Branche hellhörig machen. Der Wunsch nach Bequemlichkeit ist demnach auch beim Bestellen von Lebensmitteln im Netz das Hauptargument. Insbesondere durch Bestellungen von Getränken könnten sich die Verbraucher das Leben erleichter, meinen die Studienmacher. Doch momentan sind die Voraussetzungen dafür noch nicht optimal. Denn derzeit haben nur 19 Prozent der Bevölkerung die Möglichkeit, beim Online-Einkauf von Lebensmitteln zwischen mehr als einem Webshop wählen zu können vorausgesetzt, sie wollen auch Frischeprodukte in ihren Warenkorb legen und diesen ausliefern lassen.
Rückschläge im E-Commerce
Nicht nur diese Beobachtung macht deutlich, dass die optimistische Prognose des IFH gegenwärtig noch einige Widerstände überwinden muss. Auch die offensichtliche Zurückhaltung des amerikanischen Internetkonzerns Amazon, in Deutschland entschiedener ins E-Food-Geschäft zu investieren, oder der aktuelle Rückzug von Delticom aus dem Online-Handel mit Lebensmitteln, macht dies deutlich. Das eigentlich aus dem Reifenhandel kommende Internet-Unternehmen hatte in den vergangenen knapp vier Jahren den Feinkosthändler Gourmondo.de, die Plattform Lebensmittel.de und den Logistiker ES Food übernommen. Später kam auch noch der Lebensmittellieferdienst Allyouneedfresh.de der Deutschen Post dazu. Damals sagte Mitgründer und -gesellschafter Andreas Prüfer in einem interview dazu noch: „Wir können nicht viel verlieren – gerade im Food-Geschäft“.
Doch jetzt sind die Expansionspläne vom Tisch. Das Geschäftsfeld E-Food hat bei Delticom scheinbar keine Zukunft mehr. So ist der Web-Shop Allyouneedfresh.de bereits nicht mehr erreichbar. Auch bei Geschäftspartnern zeigen sich Folgen. Der Biohändler Alnatura beispielsweise hat seinen Web-Shop, der auf einer Kooperation mit der Delticom-Tochter Gourmondo basierte, Ende Januar eingestellt. Der Delticom-Vorstand hat zudem beschlossen, sich wieder auf den Online-Handel mit Reifen zu konzentrieren, das Geschäftsfeld Lebensmittel werde „überprüft“, hieß es.
Kommt „Amazon Go“?
Bei Amazon forciert man derzeit, alternativ zur Expansion im E-Food-Markt, sogar stationäre Möglichkeiten, den Konsumenten mehr Convenience anbieten zu können. Amazons Deutschland-Chef Ralf Kleber sagte gegenüber der Zeitung „Welt am Sonntag“, dass man darüber nachdenke, hier zu Lande stationäre Läden zu eröffnen. Der Internetkonzern hat damit bereits Erfahrung. Unter dem Namen „Amazon Go“ eröffnete das Unternehmen bekanntlich Läden in den USA und Großbritannien. Dort kaufen die Kunden kassenlos ein. Die eingekauften Waren werden mit Sensoren und Kameras erfasst und später per App abgerechnet. Im Winter 2018 startete Amazon bereits einen ersten vorübergehenden Versuch in Berlin. Dort eröffnete für kurze Zeit ein Pop-up-Store, in dem man vor allem elektronische Geräte und Kleidung kaufen konnte, allerdings keine Lebensmittel wie in Amazons Go-Shops. „Fakt ist: Wir wissen, dass Kunden offline einkaufen und dass sie Vielfalt mögen“, sagte Kleber gegenüber der „Welt am Sonntag“. Für den Internetkonzern muss aber klar sein, dass er auch stationär genauso viel Convenience bietet wie online. Denn der Online-Handel trage dazu bei, dass es einen permanenten Aufwärtstrend im Service-Convenience-Bereich gebe, meint Kai Hudetz, Geschäftsführer des IFH Köln. Dadurch steige das Anspruchsniveau der Kunden.
Valora und Migros testen schon
Dass kassenlose Shops Convenience bieten, trotz hohem Anspruchsniveau der Kunden, davon zeigt sich nicht nur ein Stockholmer Startup, das in Schweden eine unbemannte Container-Ladenkette der Marke Lifvs auf bauen will (siehe Kasten), sondern auch Migros und Valora überzeugt. Die beiden Schweizer Lebensmittel-Einzelhändler verfügen über viel stationäre Expertise. Valora hat im vergangenen Jahr mit der Avec Box einen kassenlosen Shop im Zürcher Hauptbahnhof getestet (Convenience Shop berichtet). Der Zutritt erfolgte über eine Handy-App. Ebenfalls 2019 gab die Migros-Tochter Migrolino bekannt, neue Mini-Filialen eröffnen zu wollen, die 24 Stunden geöffnet sind und nachts autonom funktionieren sollen. Die Shops sollen in erster Linie an Bahnhöfen und Tankstellen entstehen und nachts ohne Bedienung auskommen. Als Vorbild gelte das amerikanische Format Amazon Go» wo es keine Kassen mehr gibt.
Mit Gesichtserkennung
Doch nicht alle Kunden, insbesondere auch in Deutschland, werden mit den datentechnischen Voraussetzungen einverstanden sein. Im Gespräch sagte Valora-Chef Michael Mueller, dass auch die Gesichtserkennung geplant sei. Der Konzern will außerdem Kaffee- und Zigarettenautomaten testen, die das Gesicht der Kunden scannen und ihnen personalisierte Kaufempfehlungen machen. Man werde aber keine Gesichter ohne Einwilligung der Kunden analysieren und man halte den Datenschutz stets ein.
Auch Migrolino-Chef Markus Laenzlinger nennt als mögliche Lösung die Gesichtserkennung beim Betreten der Filiale. „Das Thema Altersfreigabe für Tabak und Alkohol müssen wir im Griff haben. Kein Kunde, der unter 18 Jahre alt ist, darf diese Produkte einkaufen können.“ Wie die technische Umsetzung genau aussehen soll, sagt Laenzlinger noch nicht. Als weitere Variante nennt er die Identifikation via Smartphone.