Eiscreme „Noch nie so langweilig wie 2019“

Blaubeer-Eis mit Parmesan-Espuma oder Rote-Beeren-Eis mit wildem Szechuan-Pfeffer: Food-Designer David Marx (Foto) erfindet mit seinem Unternehmen das Speiseeis neu. Er meint, dass Eis  in den C-Stores neue Visionen braucht.

Freitag, 27. März 2020 - Tiefkühlkost & Eis
Sabine Wygas
Artikelbild „Noch nie so langweilig wie 2019“
Bildquelle: David Marx

Herr Marx, warum ist Eis Ihre Leidenschaft?
Marx: Eis ist für mich ein Glücklichmacher. Ich bin ein absoluter Eis-Food-Revolutionär. Am liebsten würde ich die ganze Welt vom schlechten Eis befreien. Nicht nur, dass ich mittlerweile auch meine eignen Eis-Boutiquen in China betreibe und die Industrie in Sachen neue Rezepturen und Storytelling unterstütze. Derzeit bespreche ich mich auch mit einem Mall-Betreiber in Sachen Eisdiele der Zukunft, in der Eis völlig neu inszeniert wird, ohne dabei aber auf neuartige Technologie zurückgreifen zu müssen. so könnte später jeder dieses Konzept für sich adaptieren. Schluss mit den ewig gleichen Schoko- oder Fruchtbechern, dem farbenfrohen Spaghetti-Eis oder Amarena-Becher. Ich zeige also völlig neue Desserts, Kombinationen, spannende Kontraste, futuristische Darreichungsformen, Saisonalität und Regionalität. Mein Ziel ist es dabei, die Qualität und Schönheit der Sternegastronomie auf die Straßen zu bringen.

Sie waren ursprünglich Produktdesigner und Marketingspezialist in einem Unternehmen. Jetzt kreieren Sie Ihr eigenes Eis. Wieso diese berufliche Wende?
Die kam, als mein Sohn Karlo geboren wurde und zeitgleich mein bester Freund im Sterben lag. Ich pendelte zwischen zwei Krankenhäusern hin und her, in dem einen, um voller Freude meinen Sohn Karlo zu besuchen, in dem anderen, um mich von meinem Freund zu verabschieden. Da wollte ich mein Leben ändern und nur noch meiner Leidenschaft nachgehen: eine neue Form von Eis kreieren, das vor allem auch gesund ist.

Sie stellen Ihr Eis mithilfe der Molekularküche her, worum geht es da genau?
Die Molekularküche ist wie ich auch, vom Willen getrieben, über den klassischen Tellerrand hinaus zu denken und Essen neu, spielerisch zu gestalten und sich dazu eben auch der Wissenschaft zu bedienen, deshalb Science Kitchen. Heute gibt es diese Form der Molekularküche eigentlich nicht mehr. Wir selbst nennen sie Minimal oder Avantgarde Cuisine, weil wir sehr reduziert, klein aber immer noch sehr design-orientiert kochen beziehungsweise anrichten. Ich persönlich glaube, künftig wird weniger wieder deutlich mehr.

Schauen wir mal auf den Convenience-Eismarkt in 2019. Was war aus Ihrer Sicht gut, was schlecht?
Im Convenience-Markt hat sich in 2019 so gut wie nichts getan. Absolute Stagnation! Mehr Luft, mehr Zucker, mehr Fake. „Karamell und Salz“ wurden mal wieder als Innovation verkauft. Einige, wenig gute vegane Lösungen wurden ins Programm mit aufgenommen, doch auch diese kopieren nur immer wieder das gleiche Muster: Schokolade, Vanille und Erdbeere. Eisdielen hingegen haben zumindest erkannt, dass es auch so genannte Premiumsorten innerhalb ihres Angebots gibt, Bio und das Thema Vegan wichtig sind und das sich dafür eben auch etwas mehr Geld verlangen lässt. Doch das war es dann auch schon.

Was lief falsch?
Während die F&B-Welt um uns herum sich also in einem nie dagewesenen Wandel befindet, scheint die Industrie beim Thema ‚Eis‘ nicht weiter reagieren zu wollen und überlässt das Thema Innovation den Startups, man denke nur an Milch aus Insekten, neue Kombinationen wie Schoko mit gerösteten Zwiebeln und vieles mehr. Meiner Meinung nach war Eis in Deutschland noch nie so langweilig wie in 2019. Eis muss sich schnellstmöglich und radikal neu erfinden.

Wie soll das gehen?
Eis muss wieder gut und gesund werden und darf dabei auch teurer werden. Es muss sich dann aber deutlich vom bisherigen Sortiment und Darreichungsformen differenzieren. Völlig neue Geschmacksrichtungen sowie Kombinationen müssen her, Saisonalität und vielleicht sogar Regionalität mit einbezogen werden, mehr Spezial-Editionen oder limitierte weil saisonal. Völlig neue Vertriebswege müssen erfunden und geschaffen werden- Das Stichwort lautet Nachhaltigkeit. Die große Frage lautet: Wie kommt das neue Eis frisch und direkt zum Konsumenten, damit es nicht überall und lange gelagert werden muss? Ist also die neue Verpackung aus Metall? Wird es ein Pfandsystem geben? Gibt es neue Technologien, die regionale Produktionen zulassen? Wie lässt sich Saisonalität umsetzen?

Was haben Sie für Eissorten letzten Jahr kreiert und was gibt es in diesem Jahr?
Unser Sortiment ist im stetigen Wandel, da wir unmittelbar auf die Wünsche und Bedürfnisse unserer Kunden eingehen und mit neuen Kreationen überraschen. Über den Winter gibt es zum Beispiel Blaubeer-Eis mit einer Parmesan-Espuma, rote Beeren-Eis, darin von Hand gepflückter, wilder Szechuan-Pfeffer und etwas Olivenöl, ein revitalisierendes Ingwer-Limetten-Kokos-Eis, zu dem sich noch etwas Baobab gesellt oder ein extrem dunkles, aktives Schokoladen-Eis mit frischem Chili aus meinem heimischen Garten in Portugal…. und so weiter. Dabei süßen wir vorzugsweise mit Reissirup oder Kokusblütenzucker. Diese Stilrichtung behalten wir auch für die kommende Saison bei, wollen aber an dieser Stelle keine neuen Rezepturen verraten.

Wie erschaffen Sie diese neuen Geschmacksrichtungen?
Wir „erkochen“ uns jede Rezeptur, im Gegensatz zur klassischen, kalten Herangehensweise bei der normalen Eis-Herstellung. Möchte ich ein Eis, das nach gutem, deutschen Brot schmeckt, so kaufe ich Brote und aromatisiere die Milch. Das sind alles Vorgänge und Technologien, die über die Molekularküche zu uns kamen. So stellen wir uns auch den neuen Rezepturen unserer Kunden, zum Beispiel aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo wir dann mit Datteln, schwarzem Kardamom, Sesam oder Chai-Gewürzen arbeiten. Wir übersetzen unsere Ideen ins Kulinarische, in dem wir uns an den Herd stellen und kochen. Deshalb kooperieren wir ja auch eher mit Spitzenköchen als mit deren Patissiers.

Wenn es nach Ihnen geht, sollte Eis gesünder werden. Warum und wie?
Alles sollte doch per se gesünder werden, weil davon unser Wohlbefinden und Leben abhängt. Geschmack primär über schlechte Fette und viel Zucker zu transportieren, ist leicht und günstig – aber eben auch nicht gerade gesund. Die Frage nach dem Warum sollte also gar nicht erst gestellt werden. Doch heute befinden sich im Eis Stoffe, vor allem auch bei den veganen Lösungen, für die es Google braucht, um sie zu verstehen. Schon lange haben sich eine Vielzahl von Industrieherstellern dem Konstruieren von Eiskörpern, deren Geschmäckern, Farben und Funktionen verschrieben und dabei leider den Pfad des Guten verlassen. Eis ist in seiner Herstellung so billig wie nie zuvor. Doch es scheint, als dass kein Budget für Qualität mehr übrig ist. Vielleicht würde es helfen, mehr Zeit und Geld in die Erfindung neuer Kanäle zu investieren, sodass mich als Konsument das frische Eis schneller weil direkter erreicht. Dann wäre wieder Platz für mehr Qualität und sicher auch Gesundheit.

Was ist Ihr Lieblingseis?
Mein Lieblingseis ist bis heute meine erste Kreation: Kokos-Mango-Passionsfrucht mit frischem Rosmarin und echter Vanille. Was überhaupt nicht mehr geht, sind all die Fake Vanille-Sorten, billiges Schokoladen-Eis und angebliches Pistazien-Eis.

Ihre Produkte gibt es in den USA und in China. Warum noch nicht in Deutschland?
Es ist in Deutschland ungleich schwieriger, ein solch hochwertiges Produkt zu verkaufen. Derzeit verhandle ich aber dennoch zum Beispiel mit der Deutschen Bahn über einen möglichen Standort für eine Eis-Boutique, in der es neben dem „Eis mit Stil“ zukunftsweisende Desserts geben soll. Das ist aber noch nicht in trockenen Tüchern. Ich bediene aber auch diverse Kunden aus der Industrie, sodass es zumindest auf diesem Weg mehr und mehr Kreationen von mir auch im heimischen Handel geben wird.

Was wünschen Sie sich für 2020?
Vor allem wieder mehr Qualität, das heißt echtes Eis! Und spannendere Produkte, die nicht allein nur auf Zucker basieren. Kooperationen mit Bauern, die beispielsweise ganz spezielle alt-deutsche Erdbeeren züchten. Ich wünsche mir mehr Nachhaltigkeit, mehr Frische, mehr Gesundheit – also weniger Fett, weniger Industriezucker und weniger Luft. Bio wäre toll – vegan wird zunehmend zur Pflicht und kann auch viel mehr als die klassische Herangehensweise an Eis. Es fehlen echte Innovationen.