The Retail Marketeers Die Zukunft ist da

Christian Warning ist Gründer und Geschäftsführer von The Retail Marketeers, einem Knowhow- und Think Tank der Tankstellen- und Convenience-Branche in Hamburg. Zur Zeit der ersten Ausgabe von CS wurde er als Ansprechpartner der Deutschen Shell AG in der Membership Directory der NACS aufgeführt, deren Repräsentant er mittlerweile ist. In seinem Gastbeitrag schreibt er über die künftigen Erwartungen an die Convenience-Branche.

Dienstag, 22. September 2020 - Tankstelle
Christian Warning
Artikelbild Die Zukunft ist da
Bildquelle: The Retail Marketeers

Die Zukunft ist da, sie ist nur noch nicht gleichmäßig verteilt“, so zitiert Henry O. Armour, President & CEO der NACS, der weltweit einflussreichsten Organisation der Tankstellen- und Convenience-Shop-Branche, den in Kanada lebenden US-Zukunftsforscher William Ford Gibson gerne auf den zahlreichen NACS Leadership-Meetings auf allen Kontinenten. Dies gilt aus meiner Sicht im Jahr 2020 mehr als je zuvor.

Der Covid 19 Einschlag beschleunigt viele Trends, die ich schon seit einigen Jahren in unterschiedlicher Ausprägung in verschiedenen Märkten live erleben durfte. Die „Tankstelle der Zukunft“ haben wir bei The Retail Marketeers im Rahmen unseres Zukunftsprojektes Drive-X vor 18 Monaten, gemeinsam mit den Innovations- und Transformations-Spezialisten von Ignore Gravity aus Berlin, als Mobility Hub entwickelt. Wir fühlen uns jeden Tag mehr in unserer Vision bestätigt, da viele von uns identifizierte Einzel-Elemente von führenden Convenience Retailern und Tankstellen-Betreibern in ihren Zukunftsszenarien aufgenommen wurden.

New Mobility Retail
Die marktführenden Branchenteilnehmer benutzen mittlerweile auch den Begriff „New Mobility Retail“, wenn sie von ihrem Tankstellen-Geschäft sprechen und nutzen den ebenfalls von uns seit einigen Jahren besetzten Begriff des „Foodvenience“. Damit bezeichnen wir die Kombination des Food-To-Go-Angebotes der den Konsumentenwunsch nach Convenience in allen Lebenslagen, quasi mehr als Lebenseinstellung oder Haltung, denn als Vertriebskanal-Bezeichnung, widerspiegelt.

„Quo vadis Tankstelle?“ ist vermutlich die mir in den vergangenen Jahren Jahren am häufigsten gestellte Frage. Meine erste schnelle Elevator Pitch-Antwort lautet immer, dass Menschen auch in der Zukunft schnelle und verlässliche Lösungen gegen Hunger und Durst nachfragen und insbesondere eine saubere und sichere Toilette suchen, wenn sie unterwegs sind. Dies ist die Chance für unsere Standorte, die durch ihre gute Erreichbarkeit den entscheidenden Wettbewerbsvorteil mitbringen. Erfolgreich wird auf Dauer allerdings nur der Anbieter sein, der sich in seinem Teilmarkt „hyperlokal“ mit speziellen Zielgruppen und der individuellen Wettbewerbssituation auseinandersetzt und sein Angebot an Produkten und Services auf diese ausrichtet.

Geo-Marketing
„One size doesn’t fit all C-stores – Es kann künftig 20.000 verschieden ausgestaltete 7-Eleven in Japan geben“ bestätigte jüngst Fumihiko Nagamatsu, dort Präsident von 7-Eleven, diesen Trend. Grundlage für die standort-individuelle Optimierung des Angebotes sind auf Geo-Marketing basierende Daten. The Retail Marketeers haben genau für diese Problemstellung mit den Geo-Marketing Spezialisten von Weischer. Geoconsult, für die Tankstellen-Branche ein Standortanalyse-Angebot entwickelt, das Retailern diese Daten schnell und einfach liefert. Experten auf globaler Ebene sind sich einig, dass Tankstellen nur dann erfolgreich im Markt bestehen können, wenn sie sich einem Paradigmenwechsel unterziehen. Weg von der gelernten Tankstellendenke „wenn der Kunde bei mir tankt, dann verkaufe ich ihm im Shop noch etwas zusätzliches“, hin zum bewussten Ansteuern des Standortes als „Go-To“-Destination durch das Angebot von wirklichen „Problem“-Lösungen für unterwegs.

Tanken nicht mehr Hauptanlass
Das Auftanken oder Aufladen der eigenen oder geteilten, teil- oder vollautonomen Fahrzeuge wird künftig nicht mehr der Hauptanlass sein, das „Mobility Hub“ aufzusuchen. Ich glaube auch, dass wir als heutige Fahrer und Entscheidungsträger nicht mehr lange selber entscheiden werden, wann wir wo tanken oder unser Fahrzeug aufladen. Das Auto wird selbstständig , aufgrund der von uns eingegebenen Routendaten und der vom Hersteller mit uns abgeschlossenen Verträge entscheiden, wann und wo und ob, mit oder ohne uns Energy nachgeladen wird.

Der Digitalisierung fällt dabei die Schlüsselaufgabe zu. Nur wer seine Kunden und deren Wünsche kennt, kann sein Geschäft auch auf diese ausrichten. In unseren internationalen NACS Gremien-Sitzungen macht häufig daher das Wort die Runde, dass „Daten das neue Öl“ sind. Es „schmiert unser Retail-Geschäft“. Die reibungslose, möglichst kontaktlose Ausgestaltung der Customer Journey über „pay@thepump“-Optionen oder neue Bezahlmethoden wie Paybyface werden zu Hygienefaktoren. Die Differenzierung muss über die direkte Ansprache des Kunden auf dessen mobilen Endgeräten auf dem Weg zum, beim Aufenthalt im und nach Verlassen des Mobility Hubs erfolgen. Direkte Preisvorteile sollten nur den Mitgliedern der Loyalitätsprogramme oder App-Nutzern vorbehalten sein. Auch „Subscription“-Programme (Abo-Modelle) für Autowäsche oder das Kaffee-Geschäft werden auf der Basis des digitalisierten POS umgesetzt. Die innovativsten Retailer haben längst erkannt, dass sie über die Datengewinnung neue, alternative Geschäfts- und Erlösmodelle aufbauen können.

Zeitpunkt der Vernetzung
Die Pause für Mensch & Maschine im und am Mobility Hub ist der ideale Zeitpunkt für den enormen Daten-Up-und-Download-Bedarf aller vernetzten Geräte im Auto und am Menschen. Sie ist der ideale Moment für ein direktes Zusatzangebot, eingespielt auf das mobile Endgerät, die Uhr etc. Die Pause ist aber auch der „Moment of Truth“, zur Einforderung eines Kunden-, aber auch Mitarbeiter-Feedbacks zu Sauberkeit, Sicherheit und zum Service. Die Mineralölgesellschaft Total ist dabei in Deutschland am innovativsten und nutzt die WiFi- Router an ihren Tankstellen, mit Hilfe der Hotspot Suite Applikation, für entsprechende Mehrwert-Dienstleistungen. So bekommt jeder Kunde, der sich mit dem WiFi verbindet, aktuelle Angebote auf sein mobiles Endgerät gespielt. Eine Werbe-Plattform für Total, die natürlich auch an Dritte vermarktet werden kann. Der Einsatz künstlicher Intelligenz und von Robotern ist keine reine Zukunftsvision mehr, sondern befindet sich in Japan und in anderen asiatischen Märkten bereits im Rollout in C-Stores und Restaurants. Teil- und vollautomatisierte Angebote und Turnkey Solutions wie Pick me 24/7 von Migrolino oder Avec X sowie die Avec Box von Valora in der Schweiz, werden für eine Profitabilitätsverbesserung vieler Tankstellen sorgen können.

Wichtige Rolle für Vending
Vending wird aus meiner Sicht ein ganz wesentlicher Faktor zur Verbesserung der Konsumentensicht am Standort Tankstelle. Neue Vending Angebote wie Cabaletta von Bonduelle im Vertrieb von The Foodvenience Company treffen den Zeitgeist. Sie bilden nur die Speerspitze dessen, was in Bezug auf verlässliche Food-Qualität, Hygiene-Sicherheit und kontaktlosen Zugang zum Produkt noch folgen wird. Das Mobility Hub wird auch der soziale Treffpunkt im Standortumfeld sein können, wenn die Aufenthaltsqualität der jeweils aktuellen Customer Experience entspricht. Das ist eine besondere Herausforderung, da das Konsumentenverhalten und die Wohlfühlansprüche einem immer schnelleren Wandel ausgesetzt sind. Modulare Angebotsbausteine, ständige Produktneueinführungen und smarte Eigenmarkenprodukte werden zu erfolgskritischen Faktoren. Lokale CVP-(customer value proposition) Manager müssen sicherstellen, dass die Tankstellen multisensorisch so bespielt werden, dass deren Tonalität voll auf die jeweilige Kern-Zielgruppe des Standortes ausgesteuert wird. So werden künftig sicherlich auch viel häufiger „Pop-Up-Partner“ an Tankstellen präsentiert werden als es heute gelegentlich mal mit Food-Trucks oder Imbisswagen üblich ist.

Mobility Hub als Schnittstelle
Als intermodale Schnittstelle wird das Mobility Hub die führende Anlaufstelle, um vom eigenen Fahrzeug auf Shared Services umzusteigen, oder das eigene Fahrzeug einem Shared Service zuzuführen. „Last Mile“ Anforderungen, wie Zustellservices des weiter rasant wachsenden Online Handels und Lieferservices aller Produkte und Services des Mobility Hubs in einem verlässlichen Zeitrahmen und einem gewissen Umkreis - 30 Minuten in drei Kilometern beispielsweise wie bei Hema in China - sind Geschäftsfelder, die wir als Branche schnell besetzen sollten. Wenn wir es nicht tun, werden Anbieter, deren Kerngeschäft Online-zu-Offline ist, uns unsere Standorte wegnehmen. Sie werden dann selber Mobility Hubs als „Online-zu-Offline-zu-Online“-Geschäft aufbauen.

Auf dem Weg durch die nächsten 25 Jahre Convenience Shop empfehle ich allen Betreibern, kurzfristig eine „3-S Strategie“ für den operativen Betrieb sicherzustellen: Sauberkeit, Sicherheit & Service. Das ist die Basis, um mit einer „Community & Customer Centricity“-Strategie eine neue CVP für jeden Standort zu definieren und die Tankstellen in Mobility Hubs zu überführen. „24/7 unmanned vending & robotic touchless services“ werden dabei helfen und wesentlich schneller als gedacht auf Akzeptanz beim mobilen Konsumenten treffen.