Flüchtlinge Orientierung an der Tankstelle

Ausbildung statt Abschiebung für junge Flüchtlinge. Darauf setzt der gleichnamige gemeinnützige Bonner Verein, der mit einem Besuchstag in Köln vom Fachverband Tankstellengewerbe (FTG) unterstützt wurde.

Mittwoch, 27. April 2016 - Tankstelle
Hans-Jürgen Krone
Artikelbild Orientierung an der Tankstelle
Bildquelle: Carsten Hoppen

Unsicherheit prägt ihren Alltag: unbegleitete junge Flüchtlinge im Alter von 14 bis 27 Jahren, deren Asylverfahren läuft, weshalb ihr Aufenthaltsstatus unsicher ist. Doch viele von ihnen sind hoch motiviert und wollen die Zeit in Deutschland sinnvoll nutzen. Davon konnte man sich in diesen Tagen auf ungewohnten Terrain überzeugen: an der Kölner Westfalen-Tankstelle von Ulrich Verbrüggen.

Dorthin hatte nämlich der rührige Tankstellenbetreiber und Vorstandsmitglied des Fachverband Tankstellengewerbe (FTG) eine ganze Gruppe von Flüchtlingen eingeladen. Sinn der Veranstaltung: den Jugendlichen aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Iran oder Eritrea, den Arbeitsalltag an einer Tankstelle näherzubringen und auszuloten, ob der eine oder andere vielleicht Interesse hat, ein Praktikum an einer Station oder gar eine Ausbildung zu machen. Denn ab einer Aufenthaltsdauer von mehr als drei Monaten, so ist offenbar die gesetzliche Lage, können die jungen Leute eine Ausbildung absolvieren.

Die Aktion in Köln geht auf einen Kontakt zwischen dem Tankstellen-Verband und dem Verein Ausbildung statt Abschiebung (AsA) in Bonn zurück. Dieser Verein kümmert sich in der Region Bonn, Rhein-Sieg/Köln um diese jungen Leute und bietet ihnen umfangreiche Betreuung an. AsA: „Die Lebensperspektiven Jugendlicher, insbesondere unbegleiteter Flüchtlinge in Deutschland sind unbefriedigend. Sie haben praktisch keine Chance, einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu erhalten. Der ungesicherte Aufenthalt in Verbindung mit den derzeit geltenden Arbeitsbeschränkungen macht es den jungen Flüchtlingen fast unmöglich, einen Ausbildungsplatz zu finden und einen sinnvollen Alltag zu erleben. Jede berufliche Perspektive ist ihnen verbaut.“ Ein Berufsabschluss gebe den jungen Menschen eine Zukunftsperspektive, so der gemeinnützige Verein weiter (www.asa.bonn.org).

Bereits vor dem Besuchstermin war der FTG zu einem Treffen mit jugendlichen Flüchtlingen in Bonn, bei denen der Verband über Ausbildungsmöglichkeiten an der Tankstelle informiert hatte. „Wir wollen den jungen Menschen Bildung und Schlüsselkompetenzen vermitteln“, erläutert Sara Ben Mansour, Leiterin des Bewerbungszentrum der AsA, das von der Hit-Stiftung finanziert wird. Dies sei auch das beste Mittel, sie gegen Armut und Radikalisierung zu schützen. Eine gute Erfahrung habe man schon im Zusammenhang mit einer Tankstelle gemacht, berichtet sie. So konnte einer der Schützlinge bereits erfolgreich ein Praktikum an einer Station in der Region absolvieren. Das ist kein Zufall, denn die Praktikums- und Ausbildungswünsche der jungen Männer gehen meist in die Richtung Automobilität.

Die Gruppe, die Ulrich Verbrüggen begrüßen konnte, zeigte sich aber durchaus auch beeindruckt davon, wie vielfältig und aufwändig die Arbeit an einer modernen Tankstelle ist. Der Tankstellen-Betreiber, dem es offensichtlich Freude bereitete, die jungen Männer vor Ort zu informieren, hat eine ganz klare Haltung dazu: „Ich will die jungen Leute unterstützen. Wenn jeder etwas tun würde, dann wäre alles ok“, ist er überzeugt. Sehr aufmerksam verfolgten die Teilnehmer seine Erklärungen während der Führung durch die Technik, das Büro, die Waschanlage und natürlich den Shop. Damit die Kommunikation einigermaßen klappt, war der Verein zu diesem „Ausflug zur Berufsorientierung“ mit 19 Schülern ihres Deutschunterrichtes aufgebrochen und mit gegenseitiger Übersetzungshilfe klappt es mit der Kommunikation. „Die Sprache lernt man am besten, wenn man sie im Kundenkontakt anwendet“, weiß auch Verbrüggen.

Unterricht ist essenziell

Im Asylverfahren müssen die Behörden den Jugendlichen keinen Deutschunterricht ermöglichen, den deshalb in der Region die AsA anbietet. Zu tun hat der Verein es mit Menschen, die über sehr unterschiedliche Bildungsniveaus verfügen, von Analphabeten bis hin zu Abiturienten und Studenten ist hier alles dabei. Ziel von AsA ist es, möglichst viele ihrer Schützlinge in Ausbildung zu bringen und mit dem Abschluss der Berufsschule ist der Hauptschulabschluss automatisch erworben. Zeit genug für die Ausbildung bleibt den meisten Betroffenen, denn die Asylverfahren dauern in der Regel zwei bis drei Jahre. „Diese Zeit kann man sinnvoll nutzen“, betont Mansour. Gerade auch diejenigen, die in ihre Länder zurückgehen wollen, informieren sich sehr genau, mit welchen beruflichen Erfahrungen sie auch in ihrer Heimat etwas anfangen können, ob als Kfz-Mechaniker, Maler, Schuhmacher oder Kaufmann. Doch bei aller Motivation ist es für sie nicht leicht, einen Ausbildung splatz zu finden. „Ich habe schon so viele Bewerbungen geschrieben und noch nicht mal Antwort bekommen“, erzählt einer der jungen Leute, der eigentlich unbedingt Dachdecker werden möchte. Vielen geht es ähnlich. Gerade deshalb gefiel den Teilnehmern bei diesem Besuchstermin vor allem auch , dass sie von Verbrüggen mit ihren Informationsbedürfnis sehr ernst genommen wurden. Dass beispielsweise die Arbeitszeiten an so einer Station nicht gerade bequem sind und manches mal sehr frühes Aufstehen erfordern, sorgte für Gesprächsstoff, was allerdings auch bei deutschen Jugendlich wohl kaum anders wäre. Verbrüggen gab jedenfalls über alle Details des Arbeitsalltages geduldig Auskunft. Sein Motto: „Junge Menschen und Integration – da bin ich dabei.“


Was andere sagen:

CS hat in diesem Zusammenhang natürlich interessiert, ob andere Unternehmen aus der Branche bereits Erfahrungen mit der Arbeit von Flüchtlingen in den Betrieben gemacht haben und wie sie zum dem Thema stehen. Einige Mineralölgesellschaften verweisen dabei lediglich darauf, dass dies Sache der Pächter sei.

Das sagt ebenfalls die Tank & Rast : „Grundsätzlich gilt: Die Servicebetriebe auf deutschen Autobahnen werden von Pächtern geführt, die rechtlich eigenständige Unternehmer sind. Daher entscheiden sie selbst über alle Personalfragen und Ausbildungsangebote. Dies gilt auch für mögliche Beschäftigungsverhältnisse von Flüchtlingen.“ Bezüglich der 13 Regiebetriebe sagt das Unternehmen: „Derzeit sind keine Flüchtlinge in den Eigenbetrieben angestellt. Tank & Rast sieht aber durchaus potenzielle Beschäftigungsmöglichkeiten, da die Servicebetriebe vielfältige Tätigkeitsbereiche mit unterschiedlichen Anforderungsprofilen bieten. Bereits heute sind in den Betrieben zahlreiche Mitarbeiter aus verschiedenen Ländern beschäftigt. Entscheidend ist, dass die Mitarbeiter motiviert ihrer Arbeit nachgehen und sich mit dem Servicegedanken im Sinne der Reisenden identifizieren. Zudem sind mit Blick auf den Kundenkontakt grundlegende Deutschkenntnisse wichtig.“ Mit den unterschiedlichen Unter nehmen habe die Tank & Rast aber keine Probleme: „Die neuen Kolleginnen und Kollegen mit Migrations-Hintergrund integrieren sich in der Regel schnell in die Betriebe und gehen mit Engagement ihrer Tätigkeit nach.“

Auch bei Esso betont man, das Unternehmen habe „als multinationaler Konzern, der in vielen Ländern zu Hause ist, überhaupt keine Berührungsängste, wenn es um fremde Kulturen geht“, außerdem würden gute Arbeitskräfte, ungeachtet ihres Migrationshintergrundes immer gebraucht. Das A und O seien die Sprache und die Integrationsbereitschaft der Kandidaten. Direkte Erfahrungen mit Flüchtlingen habe man aber noch nicht gesammelt. Zur Möglichkeit, Praktika und Ausbildungsplätze für Flüchtlinge an Tankstellen bereitzustellen, sagt die Esso: „Grundsätzlich wäre das ein guter Weg, um die Integration zu fördern.“ Allerdings setze das voraus, dass die Kandidaten die deutsche Sprache verstünden und sprechen könnten: Der falsche Umgang mit Kraft- und Schmierstoffen infolge eines Missverständnisses könne schnell fatale Folgen haben, so das Unternehmen.

Total hat Ende 2015 die Kampagne „Total hilft Helfern“ gestartet. Dabei sollen 50 lokale Initiativen von der finanziellen Unterstützung des Mineralölunternehmens profitieren. Dafür steht ein Budget von 500.000 Euro zur Verfügung. Auch weiterhin können sich gemeinnützige Organisationen und Vereine um Fördermittel bewerben. Über die Kampagnenwebseite www.total-hilft.de seien bereits mehr als hundert Projektideen eingegangen. Zu den geförderten Projekten zählen Initiativen wie Refugio in Berlin oder die Stiftung Juvente Mainz, in denen Flüchtlinge eine Unterkunft und Hilfe zum Start in das Berufsleben und zur Integration in Deutschland erhalten. Weitere Projekte: die Kiron University, die Flüchtlingen über Online-Studiengänge auf einen Universitätsabschluss vorbereitet, Sportvereine, die über Angebote an Flüchtlinge den Kontakt zur deutschen Bevölkerung erleichtern, oder Schülerhilfe-Einrichtungen, die Flüchtlingskindern beim Start in das deutsche Sc hulleben helfen. Auch mehrere Initiativen zur psychologischen Betreuung traumatisierter Flüchtlinge werden unterstützt“.

Für den FTG, der mehrere tausend Tankstelleunternehmen vertritt, soll das Engagement nach dem Besuchstag ebenfalls weiter gehen. Er will die AsA dadurch unterstützen, indem er Praktika- und Ausbildungsplätze an Tankstellen vermittelt.

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