Trendjourney Die Basis für Innovationen

Trendforschung ist weit entfernt von Kaffeesatzleserei. Der große Wandel leitet sich aus dem Kleinen, aus den Mikro-Trend ab, sagen Experten und ziehen Schlüsse für den Shop der Zukunft.

Dienstag, 03. April 2018 - Kleinfläche
Ulrike Pütthoff
Artikelbild Die Basis für Innovationen
Kiez-Markt in modernem Ambiente: Getränke Hoffmann geht neue Wege bei der Shop-Gestaltung.

Deutschlands Online-Handel boomt. Dem Einzelhandel droht ein Massensterben. Schlagzeilen, die den stationären Handel in den Schatten stellen und für Konzept-Initiativen wenig motivierend sind. Doch vom Forschungsbüro Trendone kommt Entwarnung: Der stationäre Einzelhandel stirbt nicht, auch wenn der E-Commerce-Anteil stetig steigt. Trends decken darüber hinaus auch noch andere Potenziale auf und leiten Innovationen ein. Die Forscher von Trend One stellten in Berlin sehenswerte Projekte der Gegenwart vor. Am Rande der Jahrestagung Handel und Wandel in Tankstellen und Convenience Shops gewährten sie den Teilnehmern einen Blick in die Zukunft und erläuterten die charakteristischen Merkmale der nächste Shop-Generation. Demnach ist der Shop der Zukunft...

... personalisiert
Gesichtserkennung ist heute schon möglich. Warum sollen dann nicht auch Self-Service-Terminals und Vending-Automaten die Kunden identifizieren können? Beim Verkauf von Alkohol kann das sogar über einen registrierten Code passieren: Sehr hilfreich: Die Biometrie autorisiert zum Erwerb von Alkohol.

... auf Rädern
Warum sollte nicht ein selbstfahrender Minisupermarkt zum Kunden kommen? Robomat aus den USA hat bereits einen Prototypen gebaut. In abgewandelter Form ist in Darmstadt das Start-Up Jeez mit einem mobilen Baumarkt im Einsatz. Online einen Termin vereinbaren und innerhalb von drei Stunden bringt der so genannte Jeez-Van kostenlos die Artikel zu Baumarkt-Preisen. Wahlweise gibt es auch eine kostenfreie Beratung und den Handwerker gleich mit.

... bargeldlos
Tap to go nennt Albert Heijn to go in den Niederlanden die Kartenzahlung, die einen Check-out überflüssig macht. Bezahlt wird nämlich am Regal mit der AH to go-Karte. Diese braucht nur an die elektronischen Regaletiketten gehalten zu werden und der Artikel-Betrag wird direkt vom Kundenkonto abgebucht. In Großbritannien ist selbst bedienen und kontaktlos bezahlen an einem SB-Eiswagen möglich.

...staffless
Unbemannte Raumschiffe gibt es bereits. Nun folgen Shops, die ohne Mitarbeiter im Verkaufsraum auskommen. Prominentestes Beispiel ist Amazon go. Wheely, eine weltweit agierende Kette von Bio-Cafés, unterhält mit einem Store ebenfalls ein vollständig integriertes System für App-betriebene Geschäfte. Damit kann jeder Shop in einen Verkaufsraum ohne Mitarbeiter verwandelt werden. Backstage werden sie dafür um so mehr gebraucht.

... ein „Fluent Space“
Ein Shop, wo nicht nur eingekauft wird, sondern wo sich diverse Zielgruppen treffen, die ein gemeinsames Interesse verfolgen. Dort finden sich etwa Senioren zum Gedankenaustausch oder Menschen die das gleiche Schicksal ereilt hat.

Ob in allen aufgezählten Alternativen Potenzial für die Zukunft steckt, bleibt abzuwarten. In Berlin konnten sich einige Tagungsteilnehmer des Kongresses Handel und Wandel in Tankstellen und Convenience Shops im Rahmen einer Trendjourney schon mal überzeugen, was heute bereits Realität ist. Drei Beispiele stellen wir hier vor.


Zu schade für die Tonne
Sir Plus

Raphael Fellmer, Gründer der Foodsharing-Plattform, hat ein Geschäftsmodell für überschüssige Lebensmittel entwickelt. In Berlin verkauft er Restbestände, die entweder das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben, als Limited Edition nicht mehr aktuell sind, ein altes Produktdesign oder kleine Schönheitsfehler aufweisen, etwa bei Obst und Gemüse. Rechtlich gesehen gibt es keine Probleme, da auf das abgelaufene MHD hingewiesen wird. Der Makel macht sich in einem um 30 bis 70 Prozent reduzierten Preis bemerkbar. Fellmer sieht es als gesellschaftlichen Auftrag, denn die Vernichtung ist oft günstiger, als die Lebensmittel einer weiteren Verwertung zuzuführen. Unterstützt wird er von freiwilligen Mitarbeitern. In diesem Jahr sind noch bis zu fünf Standorte auch außerhalb Berlins geplant.

Getränkemarkt mit Späti-Funktion
Mein Hoffi

Wohnortnahe Versorgung mit Getränken ist das Ziel des neuen Formats von Getränke Hoffman. Mein Hoffi – dahinter verbirgt sich ein modernes Kiezobjekt in Kreuzberg. Dort gibt es aber nicht nur Flüssiges mit und ohne Prozente, sondern auch Tabakwaren, Snacks, Coffee-to-go sowie einige Tiefkühlartikel. Auffallend hoch ist der Anteil regionaler sowie lokaler Produkte. Mein Hoffi zeigt sich Berlin damit sehr verbunden. Ein besonderer Service ist das Lastenrad: Wer kein Auto hat oder keinen Parkplatz nah beim Hoffi findet, der bringt seine Kisten und Kästen mit dem geliehenen Rad heim. Immerhin soll Hoffi ein Einzugsgebiet von sechs Kilometern haben. Außergewöhnliche Anforderungen stellt Getränke Hoffmann an die Mitarbeiter: „Sie sollten kiezbewusst arbeiten.“ Zwei bis drei solcher Standorte sollen noch in diesem Jahr realisiert werden.

Digitale Order
Data Kitchen

Data Kitchen bedeutet übersetzt nichts anderes als Daten-Küche. Doch werden in der SAP Data Kitchen keine Zahlen gemixt, sondern Gerichte frisch zubereitet. Der Name führt vielmehr zu einer App, die der Schlüssel zu den Gerichten ist, weil über die App geordert wird und ein digitalisierter Automat das Frühstück oder Mittagessen ausgibt. Die entsprechende Automaten-Box öffnet sich, sobald der Besteller sich per QR-Code identifiziert hat. Verspeist werden können die Gerichte vor Ort. Durch die Digitalisierung beschränkt sich der Service auf die zusätzlich gewählten Getränke. Das Gros der Mitarbeiter arbeitet im Hintergrund, in der Küche. Maximal können sie bis zu 22 Gerichte in 15 Minuten zubereiten. Gehen mehr Bestellungen ein, blockiert die App.

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Bild öffnen Alternative Präsentation der Tabakwaren: Im Kassentresen sichtbar, aber nur für Mitarbeiter greifbar.
Bild öffnen Kiez-Markt in modernem Ambiente: Getränke Hoffmann geht neue Wege bei der Shop-Gestaltung.
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Bild öffnen Der Schlüssel zu den Menüs ist eine App, über die bestellt und bezahlt wird und durch die sich auch die Ausgabebox öffnen lässt.
Bild öffnen In Berlin werden Restbestände in einem Shop an die Kundschaft gebracht. Geplantes Einkaufen ist nicht möglich, denn das Angebot wechselt täglich.
Bild öffnen Sir Plus leitet sich vom englischen Wort surplus ab, was soviel wie Überangebot heißt. Dieses findet hier mit kleinen Schönheitsfehlern doch noch Abnehmer.