Interview Gelungener Spagat zwischen Nahversorger und Tankstelle

Aus einem Ein-Mann-Betrieb ist in 100 Jahren eine Großhandlung mit 100 Mitarbeitern geworden: Utz ist heute Partner für Kleinflächen und Tankstellen-Shops und damit eine Basis für deren Erfolg. Doch der hängt sehr stark vom jeweiligen Betreiber ab, meinen Geschäftsführer Rainer Utz und Vertriebsleiter Jens Schröder.

Montag, 06. Juli 2015 - Kleinfläche
Ulrike Pütthoff
Artikelbild Gelungener Spagat zwischen Nahversorger und Tankstelle

Ihr Claim lautet „Kompetenz in Nahversorgung“. Ist der Tankstellen-Shop für Sie auch ein Nahversorger?

Rainer Utz: Die ganze Branche war vor Jahren überzeugt, dass die Tankstelle der Nahversorger der Zukunft ist und der Tante-Emma-Laden von der Bildfläche verschwindet. Das ist aber nicht eingetreten. Wir beliefern seit knapp 20 Jahren die Shops an Straßentankstellen, nachdem die damalige Sügro in Lekkerland aufging und der Markt nach einer zweiten Kraft verlangte. Diese hat die MCS (Marketing und Convenience-Shop System), der wir angeschlossen sind, meiner Meinung nach gut besetzt, und wir mussten uns in kürzester Zeit auf neue Sortimente und eine neue Kundengruppe einstellen.

Was hat die MCS Ihrer Meinung nach richtig gemacht?

Utz: Sie war vom Start an erfolgreich, weil sich die Kleinflächen- und Tankstellen-Sortimente ganz gut ergänzt und die angeschlossenen, regionalen Großhändler über die Jahre viel Erfahrung in der Feinlogistik gesammelt haben und weil wir uns alle als Ansprechpartner für den Mittelstand sehen. Der MCS und seinen Mitgliedern kommt außerdem zugute, dass wir im Verbund national aufgestellt sind, aber jeder sein Geschäft vor Ort macht, denn „all business is local“.

Hat sich seit den Anfängen der Tankstellen-Belieferung für Sie eine neue Klientel ergeben?

Utz: Die Akteure und der Markt sind anders. Der Händler in der Nahversorgung ist sehr viel mehr auf Konzepte und ein stringentes Marketing angewiesen. Das bekommt der Tankstellen-Pächter in der Regel über seine Mineralölgesellschaft (MÖG). Dort stellen wir immer wieder fest, dass die Pächter schneller wechseln, weil sie andere Stationen übernehmen oder sich einer anderen MÖG anschließen. Außerdem erkennen wir einen deutlichen Trend zu Mehrbetriebsunternehmen. Der Nahversorger dagegen bleibt uns treu, wenn wir es schaffen, dass er erfolgreich ist.

Was bedeutet das für die Sortimentsgestaltung?

Jens Schröder: Bis auf wenige Eigenmarken sind die Tankstellen-Sortimente fast austauschbar. Außerdem müssen wir dort viel schneller agieren. Im Vergleich dazu haben wir es in der Nahversorgung eher mit konservativeren bzw. beständigen Händlern zu tun. Sie bedienen einen anderen Verbraucher und nicht die Shopper zwischen 18 und 28 Jahren. Die Tankstelle will zum Beispiel schnell Trendartikel platzieren, während der Nahversorger eher auf Nachfüllware und regionale Artikel schaut. Nicht zuletzt hatte die Liberalisierung der Öffnungszeiten Ausstrahlung auf das Tankstellen-Sortiment, weil diese bis dato am Abend die Nahversorgung übernahmen, jetzt machen das die Supermärkte.

Haben die Tankstellen, wenn sie sich Richtung Versorgung orientieren, nicht die Parkplätze vergessen?

Utz: Das ist nahezu überall ein Problem. Bei Neueröffnung eines klassischen Nahversorgers findet man vielleicht drei bis vier Plätze. In Ballungsgebieten wird es dann schon eng. Für die Mineralölgesellschaften ist das eine Quadratur des Kreises, denn jemand, der im Shop noch einkauft und vielleicht noch einen Kaffee trinken will, der kann den Wagen nicht an der Zapfsäule stehen lassen. Er würde den Umsatz blockieren. Parkplätze sind also nicht vergessen. Die Frage ist nur, wie kann man sie realisieren.


Wie bedienen Sie den Foodservice an Tankstellen?

Schröder: Die klassischen Sortimente sind leicht zu handeln, aber die Ultra-Frische braucht Aufmerksamkeit. Wir liefern in Fahrzeugen mit drei Temperaturzonen, also plus- und tiefgekühlt sowie trocken. Damit fahren wir gut, weil kleinere Chargen zu vernünftigen Kosten zu bewerkstelligen sind und wir unsere Kunden nur einmal ansteuern brauchen. Eine Herausforderung ist allerdings, die Tankstellenbetreiber für Ultra-Frische zu sensibilisieren und zu schulen, zumal wenn sie nicht einer großen Mineralölgesellschaft angeschlossen sind. Es geht nicht um Belegschulungen. Die wurden schon bis zum Exzess durchgeführt, sondern um einfache Dinge wie Kalkulation oder Umschlagsgeschwindigkeit. In der Regel produzieren unsere Kunden vor Ort, unsere Großhandlung liefert ihnen die Teiglinge über Lager und Strecke sowie alle Beleg-Zutaten, bei Bedarf auch alle Rezepte. Das machen wir der Qualität zuliebe. Die symbolische Fünf-Minuten-Terrine funktioniert nicht, sondern die hochwert igen Snacks.

Welche grundlegenden Unterschiede sehen Sie zwischen den Tankstellen- und Nahversorger-Konzepten?

Utz: Bei den Nahversorgern sprechen wir über Vertriebskonzepte, wie Dorfläden oder Um’s Eck. Bei Tankstellen sollten wir mehr von Modulen sprechen, etwa Kaffee- oder Backwarenmodule.

Schröder: Wir beraten sehr intensiv in den Sortimenten. Mit dem Konzept „Neu für Sie“ platzieren wir stets die neuesten Artikel in einem Regal; mit dem Modul „feel the energy“ präsentieren wir konzentriert die Renner in diesem Segment. Wein- und Frischemodule runden das Sortiment ab.

Von welchen Leistungen können Ihre Kunden noch profitieren?

Utz: Zum Beispiel übernehmen wir die gesamte Einweg-Retouren-Logistik und führen die werthaltigen Einweg-Verpackungen der Entsorgung zu. So kommt unsere Klientel wieder an ihr Geld, denn in der Regel hat sie keine Rücknahmeautomaten, die vernichten. Insofern ist Einweg relativ einfach, während Mehrweg mit seinen zahlreichen Gebindeeinheiten immer mehr ausufert. Das ist eigentlich nur für regionale Anbieter eine Alternative.

Der Erfolg der Nahversorger scheint mit dem Engagement der Politik zu stehen und zu fallen.

Utz: Grundsätzlich bewegen wir uns eher in einem schrumpfenden Markt. In der Nahversorgung kommen noch strukturelle Veränderungen dazu. Die Landflucht ist nicht das gravierende Problem, sondern wir können den einen oder anderen Laden nicht mehr besetzen, entweder weil sich der Standort nicht rentiert oder sich kein Betreiber findet.

Schröder: Aber wir stellen auch fest, dass verwaiste Standorte wiederbelebt werden, etwa als Dorfladen. Das bedeutet nämlich erhöhte Lebensqualität. Auf dem Land ist sicher noch keiner verhungert. Dort geht es mehr um Kommunikationsmittelpunkte, und dafür schließen sich die Bürger gern zusammen. Die Projekte können allerdings nicht von heute auf morgen geöffnet werden. Da sind verschiedene Interessen und Instanzen unter einen Hut zu bringen. Der Abstimmungsprozess kann schon mal von einem Vierteljahr bis zu zwei Jahren dauern. Bei privaten Betreibern geht das oft sehr zügig. Dorfläden haben auch grundsätzlich eine andere Akzeptanz, als jemand, der sich selbstständig macht. Aber Solidarität allein reicht nicht, wenn der Dorfladen nicht richtig betrieben wird.


Gibt es bei Nahversorgern einen Mindeststandard?

Schröder: Um vom Verbraucher als echte Alternative im täglichen Einkauf wahr genommen zu werden, benötigen wir eine gewisse Flächengröße, um das Sortiment abbilden zu können. Das gilt insbesondere bei Vollerwerbsbetrieben. Wir haben jedoch viele Beispiele, bei denen es uns gelingt, auch auf kleinerer Fläche ein tragfähiges Konzept zu realisieren, etwa bei Dorfläden zwischen 50 und 350 qm. Alles andere beruht auf Erfahrungswerten. Vor allem sind regionale und lokale Gegebenheiten zu berücksichtigen, um die Verbundenheit mit der Region herzustellen. Der Imker von nebenan sollte seine Ware schon im Ort vertreiben können. Allerdings stellt dies für uns als Großhandlung einen Spagat dar, da Regionalität in manchen Fällen einen sehr engen lokalen Bezug hat. Wir lösen das durch die Einbindung von Streckenlieferanten oder auch mit der Direkt-Belieferung durch lokale Erzeuger. Wir brauchen aber auch die nationale Marke und den Preiseinstieg.

Bekommt die Regionalität einen neuen Stellenwert?

Schröder: Gerade in der Nahversorgung ist die Regionalität wichtig. Wenn die Lieferanten nicht ganz so lokal agieren, dann liefern wir die Produkte aus unserem Zentrallager. Für unsere Kunden gibt es aber keine Mindestabnahme-Quote.

Utz: Für uns hat Regionalität einen viel lokaleren Einschlag, als für die großen Handelsunternehmen. Auch wenn heimisch hergestellte Ware kein großer Umsatzträger ist, schafft sie beim Verbraucher Glaubwürdigkeit. Genau das zeichnet die Nahversorger aus, nämlich authentisch zu sein. In Tankstellen kommen wir natürlich an den großen nationalen Marken nicht vorbei.

Seit etwa 15 Jahren beweisen Sie, wie man die Tante-Emma-Läden von ihrem verstaubten Image befreit. Konnten Sie auch das Teuer-Image richtigstellen?

Utz: Wir sind übers breite Sortiment durchaus vergleichbar. Aber die Schiene „Wir sind billig“ nimmt uns der Verbraucher nicht ab. Das Thema Regionalität spielt uns dabei etwas in die Karten, weil dabei Frische im Fokus steht und die ist oft nicht vergleichbar. Das Teuer-Image kann man mit Preisaktionen, etwa ’zwei für einen Preis’ etwas auffangen. Schlussendlich kommt zu uns niemand wegen des Großeinkaufs.

Schröder: In Tankstellen gestaltet sich das anders. Aktuell haben diese mit dem Mindestlohn zu kämpfen und müssen meiner Meinung nach sehr vorsichtig sein mit dem, was die MÖGs propagieren, nämlich die Kalkulation zu prüfen. Die Preiselastizität ist nach oben ausgereizt. Wir versuchen dem entgegenzuwirken. Aber wir sehen, dass sich einzelne Tankstellen darauf einstellen.

Welche Wünsche haben Sie an die Politik?

Utz: Die politische Seite hat erkannt, worum es geht. Problem ist eher noch, die Nahversorgung zu stützen, etwa einen Selbstständigen, der mal einen Mietzuschuss oder flankierende Werbemaßnahmen braucht oder für den Parkplätze zu schaffen sind. Oft reichen kleine Maßnahmen. Im Bereich der Tankstellen ist es schwierig, Wünsche an die Politik zu äußern. Mit dem nächtlichen Alkoholverkaufsverbot wurde den Pächtern schon ein Knüppel zwischen die Beine geworfen. Natürlich soll kein Alkohol an Jugendliche verkauft werden, sondern es geht um das Feierabendbier der Erwachsenen für zuhause. Da sollte sich die Politik besinnen.

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