Interview mit Reiner Graul Künstliche Intelligenz als Kick für C-Stores

Auch 2024 wird kein Jahr ohne Probleme sein. Preis- und Kostensteigerungen sowie Personalmangel und die Kaufzurückhaltung vieler Shopper wegen Inflation, machen den Shops zu schaffen. Experte Reiner Graul schlägt Lösungen vor und setzt auf KI.

Samstag, 30. März 2024 - Tankstelle
Hans Jürgen Krone und Martin Heiermann
Artikelbild Künstliche Intelligenz als Kick für C-Stores
Bildquelle: Bormann & Gordon

Es zeichnet sich ab, dass auch das laufenden Jahr wieder viele Herausforderungen für die Betreiber von Tankstellen-Shops und deren Partner bereithält. Dabei geht es nicht nur um die Veränderungen in Richtung E-Mobilität, sondern auch um die Auswahl der richtigen Sortimente in Shop und Bistro, die Wahl der richtigen Technik für die Regale und das Office und auch um die Challenges, die Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, KI, für alle Bereich des Tankstellen-Geschäftes bereithalten. Reiner Graul vom 
Beratungsunternehmen Bormann & Gordon ist seit vielen Jahren nah an diesem Markt, von den Betreibern über die Industrie bis hin zu den Shoppern. Er fasst im Interview mit Convenience Shop die anstehenden Aufgaben für die Branche zusammen und erläutert ausführlich, was dabei zu bedenken ist und welche Maßnahmen er in welchen Bereichen des Business für beachtenswert hält, um das 
Geschäft der C-Stores weiterhin positiv zu entwickeln.

Convenience Shop: Herr Graul, Sie sind mit dem Beratungsunternehmen Bormann & Gordon, sowohl was die Shop-
Betreiber als auch die Industrie angeht, nah am Markt. Wie ist aus Ihrer Sicht die aktuelle Lage der Convenience-Shops?
Reiner Graul: 2024 ist ein Jahr der Herausforderungen – speziell für die Convenience-Branche. Themen wie Preiserhöhungen, Kostensteigerungen bei Energie und Personal sowie Personalmangel und die Zurückhaltung der Shopper aufgrund der hohen Inflation betreffen die C-Stores. Aber auch andere Formate sind mehr oder minder gleichermaßen betroffen. Für die Tankstellen kommt hinzu, dass sich die Transformation in Richtung E-Mobilität verlangsamt. Sie wird aber dennoch kommen. Deshalb wird die Notwendigkeit steigen, sich von Zapf- und Ladesäulen unabhängiger zu machen.

CS: Im Shop geht es weiterhin um den zutiefst analogen
Verkaufsprozess und darum, dass Impulskäufe stattfinden. Was empfehlen Sie in dieser Situation?
Impulskäufe sind ein Zusammenspiel aus dem
richtigen Produkt, guter Sichtbarkeit und einer ansprechenden Platzierung in Verbindung mit einem fairen Preis oder einer Promotion, die Kunden aktivieren. Leider sehe ich zu oft halbleere Acryldisplays mit Aktionsware,
Mängel bei der Preisauszeichnung oder Preise, die demotivieren. Die Kassenzone als die Impulszone der Tankstelle ist in die Jahre gekommen und müsste dringend verbessert werden, das gilt auch für bessere Kassenmöbel und neue Gestaltungskonzepte.

CS :Welcher Handlungsbedarf ergibt sich daraus aus Ihrer Sicht aktuell für die Shop-Betreiber?
Die Shop-Betreiber müssen sich aus unserer Sicht mit strategisch und taktisch wichtigen Themen beschäftigen und Weichenstellungen vornehmen. Auf der taktischen Seite sind die Veränderungen in der Nachfrage im Shop zu berücksichtigen. Es gibt Sortimente, die zunehmend an Bedeutung verlieren und deren Flächen kontinuierlich angepasst werden sollten, zum Beispiel Zeitungen und Zeitschriften. Dazu gehören aber auch einige Süßwaren und Getränke, die wenig für unterwegs geeignet sind und in unmittelbarem Preiswettbewerb zum Lebensmittel-Einzelhandel stehen. Das schafft einerseits Platz für Neuheiten, die Impulse und Zusatzumsätze liefern können. Andererseits kann diese Fläche genutzt werden, um für bestehende Sortimente vor allem Süßwaren mit Impulscharakter Zusatzplatzierungen umzusetzen, die weitere Zusatzumsätze liefern.

CS: Wie sieht es im Getränkesortiment aus?
Aus unserer Sicht sind auch bei den Top-Artikeln im Getränkesegment längst nicht alle Potenziale ausgeschöpft. Wenn heute in vielen Tankstellen-Shops mehr als 80 Prozent der Shopper keinen Kontakt zum Getränke-Regal haben – es sei denn, sie gehen gezielt dorthin – dann sollte geprüft werden, wie man durch gekühlte Platzierungen das Potenzial besser ausschöpft. Die Umsetzung von aufmerksamkeitsstarken Promotions sind in Zeiten der Inflation essenziell, um Shopper zum Kauf zu aktivieren. Sortimente und Platzierungen sind aber nur zwei von vier Disziplinen, um erfolgreich am POS zu sein.

CS: Was sind die anderen Themen?
Ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt, ist das Thema Preis. Es ist die am stärksten vernachlässigte Disziplin im Tankstellen-Shop. Systembedingt gibt es bei dieser Thematik in den meisten Fällen keine Unterstützung durch die Zentralen. Aus unseren Gesprächen mit Tankstellen-Betreibern wird deutlich, dass die meistgenutzte ‚Quelle‘ zur Preisfindung der Steuerberater ist.
Anstatt sich mit Preis-Nachfrage-Effekten und einer
Architektur der Preise in einer Kategorie zu beschäftigen, oder auch Preisschwellen und Wettbewerb zu berücksichtigen und darüber hinaus über gezielte Promotions die Preiswürdigkeit zu verbessern, ist oft der pauschale Aufschlagsfaktor auf den Einkaufspreis die ‚gelebte Praxis‘. In diesem Thema steckt ein sehr großes Potenzial zur Verbesserung der Wertschöpfung. Preisoptimierung darf nicht mit einem ruinösen Preiswettbewerb und einer Margenvernichtung gleichgesetzt werden.

CS: Sie haben in den vergangenen Jahren Erkenntnisse über das Thema Promotions und Zweitplatzierungen und über Chancen, die daraus entstehen können, geteilt. Ist die Branche hier aus ihrer Sicht entscheidend vorangekommen?
Hier sind nur bedingt Fortschritte festzustellen. Die „zwei für x“-Aktion ist weiterhin die stärkste Aktions-mechanik. Meal Deals und Bundles sind sinnvoll und durchaus in anderen Außer-Haus-Markt-Kanälen gängig. In Tankstellen tut man sich schwer. Hier ist ein langer Atem und eine klare einfache Botschaft gefordert, um den Shopper stärker zu konditionieren.

CS: Was muss sich nach IhrerMeinung in Sachen Beachtung von Food-Trends künftig in den Shops tun?
In Sachen Food Trends sehen wir Fortschritte bei gesunden Riegeln, die entsprechend platziert werden sollten. Die bekannten Trends zu gesunder Ernährung und auch zu veggie und vegan sind weiter zu beachten, um die künftige Zielgruppe nicht durch falsche Sortimentsansprache zu verlieren.

CS: Neben diesen Maßnahmen gibt es natürlich auch die Notwendigkeit für strategische Weichenstellungen. Worum muss es dabei vor allem gehen?
Zentrales Thema wird der Ausbau des C-Stores zum Unterwegsversorger sein. Es geht darum, das Shop-
Geschäft losgelöst von Tanken und Laden weiterzuentwickeln. Der Shopper muss andere Gründe haben, den C-Store der Tankstelle aufzusuchen. Und diese müssen gestärkt und entwickelt werden. Allen bewusst ist sicherlich die Notwendigkeit, sich beim Personal um Bindung und Rekrutierung in einem enger werdenden Arbeitsmarkt zu kümmern. Weitere strategische Themen, die weiterhelfen werden, sind die viel zitierte Digitalisierung aber auch Künstliche Intelligenz, KI, bis zu Smart Stores.

CS: Strategische Weichenstellungen werden von den großen Systembetreibern in Angriff genommen. Am ausführlichsten diskutiert wird derzeit sicherlich über die genannte
Rolle von Digitalisierung und KI. Gilt das in gleichem Maße für Mittelständler oder auch Einzelbetreiber?
Die großen Systembetreiber werden den leichteren Zugang haben und schneller agieren können als andere. Aber durch die Großhändler und Zentralen werden die Mittelständler und Einzelbetreiber ebenfalls die Digitalisierung einfacher nutzen können. Bei der Künstlichen
Intelligenz gibt es künftig kaum noch Barrieren, da die KI den Vorteil hat, viele komplexe Themen zu vereinfachen und das ermöglicht allen den Zugang.

CS: Können Sie für uns an kurzen Beispielen herunterbrechen, bei welchen praktischen Aufgaben die neuen Techniken künftig hilfreich sein können?
Bei der Digitalisierung gibt es bereits heute viele
Erleichterungen für Shop-Betreiber. Die elektronischen Preisetiketten stellen sicher, dass stets die aktuellen Preise ausgezeichnet sind und keine manuellen Änderungen
erforderlich sind. Mittels Kameratechnik lassen sich ganze Großmärkte komplett digital in Echtzeit abbilden. Jede Regallücke wird angezeigt und über eine App als Aktion an Mitarbeiter gesendet, beispielsweise das ein Top-Seller nachgefüllt werden muss. Gleichzeitig gibt es die Info, dass die Ware dafür im Lager ist. Andernfalls kann automatisch die Nachbestellung ausgelöst werden.

CS: Sind auch Selfcheck-out-Systeme für die Convenience-Branche hilfreich und denkbar?
Selfcheck-Out-Optionen können auch als Hybrid-Lösung mit einem Kassenplatz genutzt werden. Sie reduzieren Warteschlangen und Personalknappheit. Mit der weiteren Reduzierung von Bargeldzahlung wird die
Geldentsorgung reduziert und die Sicherheit an Tankstellen verbessert. Digitale Displays für Promotions stehen bereits zur Verfügung und Tests zeigen, dass damit gute Zusatzumsätze generiert werden können. Weitere digitale Elemente am POS führen zu mehr Convenience und
Erlebnis für den Shopper.

CS: Die Datenmengen, die schließlich digital entstehen, müssen anschließend bewertet werden, um zu konkreten Maßnahmen zu führen. Welchen Nutzen haben die Betreiber davon, die keine Informatiker sind oder über keine entsprechenden Mitarbeiter verfügen?
Die Stärke von KI ist es, große Datenmengen zu
beherrschen und mit entsprechenden Algorithmen
Massendaten zu einfachen Antworten zu verdichten. Es ist faszinierend, wenn man sieht, wie man tausend Dateien in ein System gibt und eine Frage dazu stellt und in
Sekundenschnelle eine brauchbare Antwort bekommt. Ein Beispiel: Aktuell beschäftigen sich die Shop-Betreiber wenig mit ihren Abverkaufs-Daten und analysieren auch nur zum Teil wie Shopper auf welche Promotion und welchen Preis reagieren, oder auch welche Artikel reduziert werden müssen. Das wird sich ändern, wenn die entsprechenden Systeme im Markt vorhanden sind, die für diese Fragen Antworten liefern.

CS: Die KI kann also in der Praxis konkrete Handlungsempfehlungen geben?
Bei KI werden oft so genannte Large Language
Modelle, LLM, eingesetzt, die riesige Datenmengen
analysieren und schnell Antworten liefern. Die nächste Stufe, die nicht lange auf sich warten lassen wird, sind die so genannte LAM, Large Action Modelle. Diese geben nicht nur Empfehlungen, sondern können viele Aktionen auch autonom durchführen und dazu zählt nicht nur, dass ein Preis geändert oder eine Bestellung getätigt wird,
sondern auch welche Promotion empfohlen wird und welche nicht.

CS: Derzeit schicken sich komplett autonome Smart Stores ja an, eventuell zur Alternative im Shop-Geschäft an Tankstellen zu werden. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Ich bin begeistert von den Möglichkeiten, die Smart Stores bieten und bin sicher, dass diese einen relevanten Stellenwert einnehmen werden. Expertengespräche mit Vertretern auf Seiten der Mineralölgesellschaften sind unisono der gleichen Meinung und sehen hier ebenfalls ein großes Potenzial im vierstelligen Bereich. Smart Stores werden ein relevantes Marktsegment im C-Markt einnehmen, nicht nur in Verbindung mit Tankstellen, sondern auch im ländlichen Raum oder auch in speziellen Umfeldern wie Krankenhäusern, mit dem Ziel 24/7 zu versorgen. Im Rahmen der Jahrestagung ‚Handel und Wandel 2024‘ in Berlin werde ich im Juni Ergebnisse einer aktuellen Studie zum Shopperverhalten aufzeigen können, über die wir auch im Shopper Monitor Tankstelle in der Folge detailliert berichten werden.