Handel & Wandel 2022 Neue Ideen und Konzepte für die Zukunft

Für die Branche und insbesondere die Tankstellen-Shops gibt es existenzielle Herausforderungen. Wie die Akteure diesen begegnen wollen, war Thema bei der diesjährigen Jahrestagung Handel & Wandel in Berlin im Juni.

Freitag, 29. Juli 2022 - Tankstelle
Hans Jürgen Krone
Artikelbild Neue Ideen und Konzepte für die Zukunft
Bildquelle: Marc-André Hergenröder / Handelsblatt

Die Veranstaltung Handel & Wandel in Tankstellen hat ihre Stellung seit mehr als zwei Jahrzehnten. Der wichtigste Branchentreff des Jahres hat jetzt diese Position erneut deutlich unterstrichen: Das wurde in diesen Tragen von den Teilnehmern der Jahrestagung immer wieder betont. In Berlin traf sich die Branche, um sich über ihre Aktivitäten und Pläne sowie darüber auszutauschen, was die anstehenden Herausforderungen für die Shops sind und wie man diese annimmt.

Dass zur Problembewältigung vielleicht auch eine neue Kultur der Offenheit gehörte, signalisierte bereits zum Auftakt der Jahrestagung Handel & Wandel Lekkerland-Chef Patrick Steppe seinen Zuhörern. Er erntete später viel positive Resonanz dafür, dass er die Situation der Convenience-Branche, ihre Probleme und Herausforderungen, sehr offen ansprach und somit auch dazu beitrug, auf der Berliner Jahrestagung eine Atmosphäre des offenen Austausches zu schaffen. „Die Tankstellen stehen vor dem größten Wandel in der Geschichte der Mobilität“, rief Steppe seinen Zuhörern zu und ergänzte: „Unser Geschäftsmodell der letzten zwanzig Jahre ist in starker Gefahr“. Und das alles ist aus seiner Sicht keine Zukunftsmusik. „Der Zug hat den Bahnhof verlassen“, sagte er. Natürlich spielten die aktuellen Probleme wie Krieg in der Ukraine, Inflation, Rohstoffmangel und Lieferkettenprobleme eine Rolle, aber insgesamt seien für die Branche vor allem langfristige wirtschaftliche Entwicklungen relevant. Insbesondere das Thema Kraftstoffverkauf, die Neudefinition von Convenience in der Gesellschaft und die demografische Entwicklung seien entscheidend. Mit dem Kraftstoffverkauf, der durch die Elektrofahrzeuge zurückgehen werde, würde das bisherige Core-Geschäft der Tankstellen angegriffen, sagte Steppe. Erfahrungen aus Ländern wie Norwegen, Vorreiter bei E-Mobilität in Europa, zeigten, dass nur noch 15 Prozent der Menschen ihre Fahrzeuge unterwegs aufladen würden. Wenn die Voraussagen stimmten, dass bereits 2030 zwei Drittel aller PKWs hier zu Lande Elektrofahrzeuge seien, dann werde eine wesentliche Säule des Geschäftes angegriffen. Auch beim Thema Convenience müsse sich die Branche auf Gegenwind einstellen. „Am Ende ist der Mensch faul“, meinte Steppe und so sei auch zu erwarten, dass er verstärkt die Möglichkeit nutze, sich Produkte von Express-Lieferdiensten nach Hause bringen zu lassen und nicht in einen Shop fahre. Dennoch sieht Steppe, gerade auch durch den demografischen Wandel und die Gewohnheiten neuer Zielgruppen, die Chance, dass die Shops weiterhin ihren größten Vorteil, nämlich die Top-Lage ihrer Locations, nützen können. Immerhin sei es den Tankstellen-Shops inzwischen gelungen, dass 50 Prozent der Kunden nur kämen, um zu kaufen und nicht, um zu tanken. Darauf müsse aufgebaut werden. „Jede Veränderung bringt auch Chancen mit sich“ sagte Steppe und erläuterte auch, was er damit meint: Wenn es gelinge, den etwa zehn Millionen Tankstellen-Kunden pro Tag nur zwei Food-Produkte mit einem Bon von 3,60 Euro zu verkaufen, sei diese ein Potenzial von 13 Milliarden Euro im Jahr, das es zu heben gelte. Wenn man bedenke, so veranschaulichte Steppe die aktuelle Situation, dass bisher der Food-Umsatz aller Tankstellen-Shops geringer sei als der aller Vending-Automaten, dann gebe es hier noch viel Luft nach oben.

Auf Frische und Vielfalt setzen
In Shop-Geschäft gibt es laut Steppe zu einer Fortentwicklung in Richtung Frische und Vielfalt im Food-Angebot, besonders für junge, moderne Zielgruppen, keine Alternative. Dass der demografische Wandel entsprechend genutzt werden müsse, betonte später auch Torsten Eichinger, Geschäftsführer des Lekkerland-Wettbewerbers MCS. Er erläuterte auf der Grundlage spannender eigener Daten, dass sich die Shop-Betreiber bei der zielgenauen Ansprache von Kunden künftig besonders auf die so genannte „Generation Z“ konzentrieren müssten. Ihr werden überwiegend diejenigen zugerechnet, die 1997 bis 2012 zur Welt gekommen sind. Warum auf diese so besonders zu achten ist, erläuterte Eichinger mit Blick auf die Zahlen auch: „Im Jahr 2025 wird die Generation Z die größte Käufergeneration stellen“, sagte er. Man müsse sich schon jetzt darüber Gedanken machen, wie man diese Zielgruppe weiterhin oder wieder für die Tankstellen begeistern könne. Ein wichtiger Anknüpfungspunkt dabei sei – neben verschiedenen Trend-Sortimenten – vor allem auch das Bistro-Geschäft, „wenn es richtig gemacht wird“, warf Eichinger ein. Dies aber auch verbunden mit dem Kaffee-Geschäft. Nach Aussage seiner Zahlen ist dies auch bei den jüngeren Generationen der wichtigste Faktor für die Kundenansprache überhaupt. Dazu kommen auch Sortimente wie Gutscheinkarten, die beispielsweise für Gamer von großer Bedeutung sind.

Generation Foodies beachten
Die Food-Relevanz dieses Geschäftes unterstrich auch Patrizia Stitz von Food Ideas in ihrem Vortrag. Sie nannte diese junge Kunden-Zielgruppe „Generation Foodies“ und forderte die Shop-Betreiber auf, „eine authentische Kommunikation auf den Punkt, nahe der Lebensrealität der Generation Foodie“ zu forcieren. Dazu gehörten auch funktionale Produkt-Benefits und Angebote der Shops, die sie als Problemlöser qualifizierten. Als Problemlöser sieht beispielsweise auch die Tank & Rast ihr neues Food-Angebot, das Jennifer Schmidt-Brekenfeld, Director Systems Operations der Autobahn Tank & Rast Gruppe, auf der Bühne vorstellte. Kern der neuen, kundenorientierten Sichtweise des Unternehmens ist die Einführung so genannter Food Boxen unter der Marke „Boxen Stopp“. Damit will das Unternehmen, wie CS schon ins seiner Ausgabe 3/2022 berichtete, seine Snacking- und To-go-Kompetenz stärken. Entwickelt wurde eine Boxen-Speisekarte, angelehnt an die Topprodukte, ergänzt um Trend- und auch um gesündere Varianten, also Salate oder Angebote für Vegetarier, die es in allen Raststätten des Unternehmens geben soll. Begleitet wird das durch zahlreiche Kommunikationsmaßnahmen auf vielen Kanälen. Geplant seien auch weitere digitale Initiativen. Genau darauf weiter großes Augenmerk zu legen, das forderte dann auch Patrizia Stitz von allen Playern: „Finden Sie auf allen relevanten Kanälen statt und nutzen Sie die Macht der Technologie und Daten“ rief sie den Vertretern des Convenience-Handels zu.

Digitalisierung als entscheidender Faktor
Dass gerade beim Thema Digitalisierung noch viel zu leisten ist, das war schon bei einer Live-Befragung der Teilnehmer zu Beginn der Jahrestagung ein Ergebnis. Hier waren 81 Prozent der Teilnehmer der Meinung, dass die Convenience-Shops die Chancen der Digitalisierung noch nicht im ausreichenden Maße nutzen. Dass es dabei nicht immer um Themen wie das fast noch in Gedankenspielen feststeckende so genannte Incar-Shopping geht, mit dem sich Unternehmen wie Apple beschäftigen und das Patrick Steppe erwähnte, machte Andre Stracke, Mitglied der Geschäftsleitung der Westfalen AG, in seiner Keynote Speech deutlich. Die Münsteraner waren aktiv geworden, um mit dem ausgegründeten Unternehmen Fillibri zunächst einmal das in Deutschland unterentwickelte Thema „Pay at the Pump“, per Handy-App unternehmensübergreifend in den Griff zu bekommen. „Die Fillibri-App ist eine unserer digitalen Schnittstellen“, erläuterte Stracke. Und neben „Pay@Pump“ und „Pay@Wash“ soll dabei künftig auch „Pay@Shop“ eine Rolle spielen, berichtete Stracke. Auch was die Transformation des Shop-Geschäftes angeht, ist man bei Westfalen selbstbewusst. „Wir haben bewiesen, dass ein C-Store auch bei niedrigerer Kundenfrequenz eine Berechtigung hat“, sagte Stracke. Die Mobilitätshubs des Unternehmens böten „ein breites Produktportfolio, zugeschnitten auf die vielfältigen Wünsche und Bedürfnisse unserer unterschiedlichen Kundengruppen“. Dabei gehen die Münsteraner ab sofort neue Wege und launchen unter dem Motto „One stop – feel good“ ihre neue Shop-Marke. (Lesen Sie dazu auf Seite 9) „Alvore Shop ist unsere Konzeptmarke für die Unterwegsversorgung, Einkaufen, Pause machen, Dinge erledigen“, fasste Stracke den neuen Ansatz auf der Berliner Bühne zusammen.

Kooperationen gefordert
Dass Optimierungen von Shops fast immer die enge Kooperation von mehreren Partnern erfordern, machte der gemeinsame Vortag der Partner Carissa (Shell), Lekkerland und des Software-Dienstleisters Hoffrogge sehr deutlich. Sie erläuterten unter der Überschrift „Digital am Regal“, wie man zentrale Category Management-Strategien tausendfach lokal exekutiert. Im Kern geht es dabei darum, ein Sortiment pro Regal in einem Shop komplett abbilden zu können, bei dem sowohl national wichtige Ankermarken vertreten sind als auch lokale Notwendigkeiten berücksichtigt werden. Dies sei kein reiner Bürojob, sondern mit vielen Stationsbesuchen verbunden, berichteten die Beteiligten, denn das Programm muss in die Realität übertragen werden. Das Ganze zahlt sich im Endeffekt wohl auch aus, denn die durch die Digitalisierung verbesserte Umsetzung der Regal-Pläne vor Ort führt offenbar auch zu höheren Umsätzen in den jeweiligen Shops.
Dass sich auch die Industrie als wichtiger konzeptioneller Partner für Optimierungen und bessere Shop-Umsätze sieht, zeigte sich am Beispiel von Reemtsma. Laura Dallmann, Head of Channel Convenience, und Andrea Sielaff, Head of Trade Marketing berichteten, wie aus ihrer Sicht Shopper auch in einem dynamischen Marktumfeld gebunden werden können und warum Category Management nur kollaborativ gelingen könne. Vor dem Hintergrund, dass Tabakwaren offensichtlich weiterhin Umsatztreiber im Shop-Geschäft bleiben, betonten die beiden: „Category Management ist Key, um im dynamischen Marktumfeld zu bestehen.“
Für Mars Wrigley erläuterten Frank Hanisch und Lisa-Marie Kefer, dass sich Rolle und Gestaltung der Kassenzonen in den Shops veränderten. Neue Techniken und digitale Bezahlsysteme machten es notwendig, sich auch international zu informieren nach dem Motto: „Globale Insights und Trends treffen lokale Bedürfnisse“. Das wurde auch durch die Beiträge zur Jahrestagung mit internationalem Bezug klar. So berichtete Marcus Länzlinger von der Schweizer Migrolino, dass sich sein Unternehmen bereits vielen der neuen Herausforderungen stelle und Mark Wohltmann von der NACS machte zusammen mit seinem Kollegen Leszek Jurczak deutlich, dass die Herausforderungen europäisch bis global existierten.